Bankrecht und Kapitalmarktrecht

Anleger der Daimler AG können auf Schadenersatz hoffen

Zuletzt bearbeitet am: 09.03.2024

Der für Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Kapitalanleger-Musterverfahren gegen die Daimler AG wegen angeblich verspäteter Ad-hoc-Mitteilung über das vorzeitige Ausscheiden ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. Schrempp die Sache zu weiteren Sachverhaltsfeststellungen an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

 

Am 17. Mai 2005 erörterte der damalige Vorstandsvorsitzende von Daimler Prof. Schrempp mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper seine Absicht, zum Ende des Jahres 2005 von seinem Amt zurückzutreten. In der Folgezeit informierte Schrempp weitere Mitarbeiter über seine Pläne und besprach sie mit dem Vorsitzenden des Konzern- und Gesamtbetriebsrats.

 

Am 27. Juli 2005 beschloss der Präsidialausschuss von Daimler nach 17.00 Uhr, dem Aufsichtsrat am Folgetag vorzuschlagen, dem vorzeitigen Ausscheiden Schrempps zum Jahresende zuzustimmen. Der Aufsichtsrat fasste am 28. Juli 2005 gegen 9.50 Uhr einen entsprechenden Beschluss. Hiervon informierte Daimler die Geschäftsführungen der Börsen und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Um 10.32 Uhr wurde die Ad-hoc-Mitteilung in der Meldungsdatenbank der Deutschen Gesellschaft für Ad-hoc-Publizität (DGAP) veröffentlicht.

 

In dem Musterverfahren, dem eine Vielzahl von Klagen von Aktionären zugrunde liegt, werden Schadensersatzansprüche nach § 37b Abs. 1 WpHG geltend gemacht. Der Musterkläger ist der Ansicht, eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über das Ausscheiden von Schrempp habe spätestens im Mai 2005 seit dem Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper vorgelegen. Nach dem 17. Mai 2005, aber vor der Ad-hoc-Mitteilung über das Ausscheiden am 28. Juli 2005 seien Aktien der Musterbeklagten zu einem Kurs von 31,85 € bzw. 36,50 € verkauft worden. Da der Kurs der Daimler-Aktien nach der Ad-hoc-Mitteilung noch am selben Tag auf 40,40 € und in der Folgezeit auf 42,95 € angestiegen sei, habe das Unterlassen der rechtzeitigen Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung zu einem entsprechenden Veräußerungsschaden geführt, den die Musterbeklagte zu ersetzen habe.

 

Das Oberlandesgericht hatte in einem ersten Musterentscheid festgestellt, dass durch die Vorgänge im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ausscheiden Schrempps eine Insiderinformation im Sinne des § 37 b Abs. 1 WpHG erst aufgrund der Entscheidung des Aufsichtsrats am 28. Juli 2005 um ca. 9.50 Uhr entstanden sei und die Musterbeklagte diese unverzüglich veröffentlicht habe. In einem ersten Rechtsbeschwerdeverfahren hatte der Bundesgerichtshof im Februar 2008 diesen Musterentscheid aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen (Beschl. v. 25. Februar 2008 – II ZB 9/07, ZIP 2008, 639; vgl. Pressemitteilung Nr. 53/2008).

 

Das Oberlandesgericht hat daraufhin in einem zweiten Musterentscheid festgestellt, dass frühestens am 27. Juli 2005 mit der Beschlussfassung des Präsidialausschusses des Aufsichtsrats der Musterbeklagten nach 17.00 Uhr eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation über die Zustimmung des Aufsichtsrats zum einvernehmlichen Rücktritt zum Jahresende entstanden sei. Auch bei gestreckten Vorgängen komme es nicht darauf an, ob bereits Zwischenschritte - wie hier etwa die Unterrichtung des Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper im Mai 2005 oder des Nachfolgers Dr. Zetsche im Juni 2005 über die Rücktrittsabsichten Schrempps - den Kurs der Aktie beeinflussen könnten; maßgeblich sei vielmehr, ob das künftige Ereignis, das das Oberlandesgericht hier im Beschluss des Aufsichtsrats vom 28. Juli 2005 gesehen hat, hinreichend wahrscheinlich sei.

 

Der Bundesgerichtshof hat das zweite Rechtsbeschwerdeverfahren ausgesetzt  und dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV zur Vorabentscheidung Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2003/6/EG vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauchs-Richtlinie) und der zu deren Durchführung erlassenen Richtlinie 2003/124/EG vom 22. Dezember 2003 (Durchführungs-Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 22. November 2010 – II ZB 7/09, ZIP 2011, 72; vgl. Pressemitteilung Nr. 247/2010).

 

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 28. Juni 2012 (C-19/11) entschieden, dass bei einem zeitlich gestreckten Vorgang, bei dem ein bestimmter Umstand verwirklicht oder ein bestimmtes Ereignis herbeigeführt werden soll, nicht nur dieser Umstand oder dieses Ereignis präzise Informationen im Sinn von Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/EG, Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG sein können, sondern auch die mit der Verwirklichung des Umstands oder Ereignisses verknüpften Zwischenschritte dieses Vorgangs.

 

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr auch den zweiten Musterentscheid aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Bereits das Gespräch zwischen Schrempp und dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Kopper am 17. Mai 2005 über seine Absicht, zum Ende des Jahres 2005 von seinem Amt im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat zurückzutreten, sowie alle weiteren Zwischenschritte kommen als veröffentlichungspflichtige Informationen über einen bereits eingetretenen Umstand in Betracht. Insoweit bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen, ob diese Umstände konkrete Informationen im Sinn von § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG waren (Kursspezifität) und ob sie geeignet waren, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsenkurs der Aktien der Musterbeklagten erheblich zu beeinflussen (Kursrelevanz). Weiter kann ab Mitte Mai 2005 eine Insiderinformation über einen in Zukunft eintretenden Umstand entstanden sein, dass der Aufsichtsrat dem Ausscheiden von Schrempp zum Jahresende zustimmen werde oder dass Schrempp zum Jahresende ausscheiden werde. Auch dazu bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen, ob der Umstand aus damaliger Sicht in Zukunft hinreichend wahrscheinlich eintreten werde. Der Bundesgerichtshof verlangt nach der Entscheidung des  Gerichtshofs der Europäischen Union in Abweichung von der Entscheidung im ersten Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr eine hohe Wahrscheinlichkeit. Vielmehr muss nach den Regeln allgemeiner Erfahrung eher mit dem Eintreten des Ereignisses oder Umstands als mit seinem Ausbleiben zu rechnen sein. In diese grundsätzlich dem Tatrichter obliegende Beurteilung sind alle tatsächlichen Umstände des jeweiligen Falles einzubeziehen.

Quelle: BGH

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