Ein Urteil zur Frage, ob der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber angesetzten Personalgespräch teilnehmen muss, hat das LAG Nürnberg Anfang September 2015 erlassen (Urt. des LAG Nürnberg vom 01.09.2015, Sa 592/13). Es hat dabei die Vorinstanz in ihrem Urteil bestätigt. Eine Revision ist allerdings vom LAG Nürnberg für die beklagte Arbeitgeberin zugelassen worden, weil die Rechtsfrage offensichtlich vom BAG noch abweichend entschieden werden könnte.
Sachverhalt: Die beklagte Arbeitgeberin hatte die Arbeitnehmerin und Klägerin mit Schreiben vom 26.04.2013 zu einem Personalgespräch am 30.04.2013 eingeladen. Mit einer E-Mail vom 26.04.2013 erkundigte die Klägerin sich nach dem Anlass für das Gespräch. Zu dem angesetzten Personalgespräch erschien die Klägerin dann nicht. Unter dem 02.05.2013 lud die Beklagte die Klägerin ein weiteres Mal zu einem Personalgespräch, diesmal zum 06.05.2013 ein. Zum beabsichtigten Inhalt des Gesprächs äußerte sich die Beklagte nicht. Die Prozessvertreterin der Klägerin forderte die Beklagte unter dem 06.05.2013 auf, Auskunft zu der Frage zu geben, welchen Anlass das angesetzte Personalgespräch habe, da die Klägerin noch arbeitsunfähig erkrankt sei. Zum 2. Personalgespräch erschien die Klägerin dann ebenfalls nicht. Die Beklagte erteilte der Klägerin deshalb eine Abmahnung. Am 07.05.2013 schließlich war von der Beklagten ein 3. Personalgespräch angesetzt worden, zu dem die Beklagte ebenfalls nicht erschienen ist. Der 3. Einladung war eine E-Mail der Beklagten vorausgegangen, dass sich das Personalgespräch um Fragen der Arbeitsorganisation und des Arbeitseinsatzes drehen werde. Um das Gespräch führen zu können, müsse die Klägerin nicht arbeitsfähig sein. Beim 3. angesetzten Termin fehlte die Klägerin erneut. Mit Schreiben vom 14.05.2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2013. Hiergegen reichte die Klägerin eine Kündigungsschutzklage zu Gericht. Das erstinstanzliche Gericht (Arbeitsgericht Nürnberg) gab der Kündigungsschutzklage statt.
Urteil des LAG Nürnberg: Nach der Rechtsauffassung des LAG Nürnberg war die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, an den von der Beklagten angeordneten Personalgesprächen teilzunehmen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, welcher das erkennende Gericht folge, sei es so, dass der Arbeitgeber nach § 106 Satz 1 und 2 GewO gegenüber allen Arbeitnehmern Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen könne, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt seien. Dies gelte auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Das Weisungsrecht betreffe danach zum einen die Konkretisierung der Hauptleistungspflicht. Es ermögliche dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer bestimmte Aufgaben zuzuweisen und den Ort und die Zeit ihrer Erledigung verbindlich festzulegen. Ferner träten nicht abschließend aufzählbare Pflichten hinzu, deren Erfüllung unumgänglich ist, um den Austausch der Hauptleistungen sinnvoll zu ermöglichen. Auch hierauf könne sich das Weisungsrecht beziehen.
Schließlich könne das Weisungsrecht auch den in fast allen Arbeitsverhältnissen bestehenden kollektiven Bereich betreffen, in dem es um diejenigen Regelungsbedürfnisse geht, die durch das Zusammenwirken mehrerer Arbeitnehmer im Betrieb entstehen. Dagegen erstrecke sich das Weisungsrecht nicht auf die Bestandteile des Austauschverhältnisses, also die Höhe des Entgelts und den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung. Da Weisungen regelmäßig keinem Formzwang unterlägen, müsse dem Arbeitgeber auch die Möglichkeit zur Verfügung stehen, die Weisungen mündlich zu erteilen. Das beinhalte die Berechtigung, den Arbeitnehmer zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, in denen der Arbeitgeber Weisungen in einem der oben genannten Bereiche vorbereiten, erteilen oder ihre Nichterfüllung beanstanden wolle. Stets müsse der Arbeitgeber bei Weisungen billiges Ermessen walten lassen.
Sei der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, kämen Weisungen bezüglich seiner Arbeitsleistung nicht in Betracht, da der erkrankte Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung befreit sei. Es habe daher keine Verpflichtung der Klägerin bestanden, an einem Personalgespräch teilzunehmen, das sich auf die Arbeitsleistung beziehen solle. Dabei sei es unerheblich, ob die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes in der Lage gewesen sei, an dem von der Beklagten gewünschten Gespräch teilzunehmen. Sie sei hierzu nicht verpflichtet gewesen.
Es bestehe nach Auffassung des erkennenden Gerichts während einer Arbeitsunfähigkeit unabhängig vom Thema generell keine Verpflichtung, an einem vom Arbeitgeber angeordneten Personalgespräch teilzunehmen. Diese Frage sei aber höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Die Beklagte habe bereits nicht vorgetragen, welches Interesse sie daran gehabt habe, während der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin mit dieser ein Personalgespräch zu führen. Insbesondere sei nicht ersichtlich, welchen dringenden, unaufschiebbaren Gesprächsbedarf die Beklagte gehabt habe zu diesem Zeitpunkt ein Personalgespräch zu führen. Die Kündigung sei somit aus Rechtsgründen unwirksam ist und die Berufung sei daher zurückzuweisen. Die Revision wurde gemäß § 72 Absatz 1 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Anmerkung des Verfassers: Die getroffene Entscheidung wird sicherlich nicht überall auf ungeteilte Zustimmung stoßen können. Es ist zu hinterfragen, ob der Arbeitnehmer, der nicht dargelegt hatte, dass er so stark erkrankt sei, dass er an einem Personalgespräch nicht teilnehmen konnt, ohne Angabe von Gründen dem Personalgespräch fernbleiben darf. Normalerweise dürfte es auch so sein, dass der Arbeitgeber nicht die Unaufschiebbarkeit eines Personalgesprächs außergerichtlich oder im Verfahren vortragen muss, zumindest wenn dies nicht streitig ist. Der Arbeitnehmer dürfte sich dem angesetzten Personalgespräch dann nur widersetzen, wenn erkennbar ist, dass es der Maßregelung dienen soll oder der Arbeitnehmer so stark erkrankt ist, dass er an einem Gespräch nicht teilnehmen kann.. Dazu wäre der Arbeitnehmer aber dann auch beweispflichtig.
Es ist hier zumindest fraglich, ob die Darlegungslast vom LAG zutreffend verteilt worden ist, wenn es vom Arbeitgeber Darlegungen dazu verlangt, warum das Personalgespräch nicht aufgeschoben werden konnte. Richtiger Weise dürfte es vermutlich so sein, vom Arbeitnehmer zu verlangen, Nachweise vorzulegen, wonach das Personalgespräch nur der Disziplinierung der Arbeitnehmerin gedient haben sollte. Das LAG könnte hier eine Art Anscheinsbeweis dahingehend geschaffen haben, dass ein Personalgespräch bei bestehender Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers der Disziplinierung und Schikanierung dienen soll, wenn der Arbeitgeber nicht die Unaufschiebbarkeit vorgetragen hat. Es bestehen durchaus Zweifel daran, ob eine solche Vermutung, quasi eine Art Anscheinsbeweis bei der gegebenen Situation geschaffen werden darf. Insoweit kann man dem Revisionsurteil des BAG mit Interesse entgegensehen.
Mitgeteilt durch: Rechtsanwalt Dr. Ulrich Walter Stoklossa, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Versicherungsrecht und Familienrecht, Aschaffenburg (06021/585 1270), Marktheidenfeld (09391/916670) und Würzburg (Tel. 0931/406 200 62), www.radrstoklossa.de.