Wo fängt unterlassene Hilfeleistung an und welche Strafe droht – Erklärung mit Beispielen

Von fachanwalt.de-Redaktion, letzte Bearbeitung am: 12. September 2023

Laut Strafgesetzbuch (§ 323c StGB) besteht für jedermann die Verpflichtung, in einer Notlage Hilfe zu leisten, wenn dies ohne Gefahr für sich selbst oder andere möglich ist. Unterlassene Hilfeleistung ist das Versäumnis, Menschen in Notsituationen zu helfen, obwohl die Möglichkeiten dazu gegeben wären. Wer in einer solchen Situation absichtlich oder fahrlässig keine Hilfe leistet, begeht eine Straftat, denn dieses Verhalten verstößt gegen das Recht auf Schutz und Hilfe von Individuen.

Unterlassene Hilfeleistung im StGB

Unterlassene Hilfeleistung (© Robert Kneschke / stock.adobe.com)
Unterlassene Hilfeleistung (© Robert Kneschke / stock.adobe.com)
Unterlassene Hilfeleistung wird im Strafgesetzbuch (StGB) in § 323c geregelt. Es besagt, dass jeder, der eine andere Person in einer Notlage sieht und es ihm ohne Gefahr für sich selbst oder andere möglich ist, Hilfe zu leisten, verpflichtet ist, dies zu tun. Wer dieser Verpflichtung nicht nachkommt und dadurch eine Verschlechterung der Lage herbeiführt, kann wegen unterlassener Hilfeleistung strafrechtlich verfolgt werden. Den gesetzlichen Bestimmungen folgend, handelt es sich um eine sogenannte „Unterlassungstat“. Diese kann sowohl als Fahrlässigkeit (§ 323c StGB) als auch als Vorsatz (§ 223 StGB; Körperverletzung) geahndet werden.

Wo fängt unterlassene Hilfeleistung an?

Es gibt keine exakte Definition darüber, wo unterlassene Hilfeleistung beginnt, da es von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann. Allerdings gibt es einige allgemeine Faktoren, um zu bestimmen, ob eine unterlassene Hilfeleistung vorliegt:

  • Pflicht zur Hilfeleistung besteht darin, in einer Notlage Hilfe zu leisten, wenn dies ohne Gefahr für sich selbst oder andere möglich ist.
  • Von unterlassener Hilfeleistung ist dann zu sprechen, wenn grundsätzlich die Möglichkeit der Hilfeleistung besteht, diese aber nicht wahrgenommen wird.
  •  Die Person, die die Möglichkeit zu helfen hat, muss von der Notlage Kenntnis haben.
  • Durch das Unterlassen der Hilfeleistung muss sich die Lage der betroffenen Person verschlechtern.

Schuldbefreiend: Grundsätzlich ist der Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung dann nicht anwendbar, wenn die Hilfe unmöglich oder unverhältnismäßig gefährlich ist.

Voraussetzungen der Straftat

Grundsätzlich besteht für jedermann die Pflicht, bei Unglücksfällen Hilfe zu leisten, soweit sie erforderlich und dem Einzelnen zuzumuten ist. Grundgedanke ist hierbei die Wahrung der gesellschaftlichen Solidarität bei Notfällen. Erfolgt diese Ersthilfe nicht, kann dies sowohl strafrechtliche als auch zivilrechtliche Konsequenzen haben. Strafrechtlich droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Mögliche Szenarien:

  • Vorliegen
    • eines Unglücksfalls;
    • einer konkreten Gefahrensituation, der eine unbestimmte Anzahl von Menschen oder Sachen von bedeutsamem Wert ausgeliefert sind;
    • einer Notlage, die die Allgemeinheit betrifft.
  • Es besteht die Gefahr, dass sich das Ereignis unmittelbar schädigend auswirkt, allerdings ist es nicht zwingend erforderlich, dass der Schaden bereits eingetreten ist.

Nur wenn die Sicherheit besteht, dass Hilfe offensichtlich nutzlos ist, dann kann von der Hilfeleistung abgesehen werden, z. B. könnte das Opfer bereits verstorben sein (BGH, Urt. v. 20.01.2000, 4 StR 365/99).

Wann ist Hilfeleistung zumutbar?

Es kommt immer auf den Einzelfall an. Verunglückten oder gefährdeten Menschen ist immer zu helfen, selbst bei der Möglichkeit eigener körperlicher Gefahren, wenn diese im Verhältnis zur Abwendung des drohenden Schadens stehen.

  • Die Hilfeleistung muss erforderlich und zumutbar sein:
    • Unter erforderlich ist gemeint, dass die Hilfe zur Abwendung der Gefahr geeignet und notwendig ist.
    • ist die Hilfe dann, wenn sich der Helfer keiner für ihn erheblichen Gefahr aussetzt oder er andere wichtige Pflichten verletzt. Sie ist auch dann zumutbar, wenn damit die Strafverfolgung des Helfers oder eines Angehörigen wahrscheinlich ist (z. B. Hilfeleistung nach einem riskanten, unfallverursachenden Überholmanöver anstatt Fahrerflucht). Die Zumutbarkeit orientiert sich auch an den Fähigkeiten und Möglichkeiten des potenziellen Helfers. So sind die Anforderungen an einen Menschen mit medizinischer Ausbildung anders als an Personen, die über keine ärztlichen oder medizinischen Kenntnisse verfügen.

Es ist zu beachten, dass die Hilfeleistung in keinem Fall die persönliche Unversehrtheit des Helfers und / oder der zu helfenden Person gefährden darf. Auch wenn jemand grundsätzlich die Pflicht hat zu helfen, trifft ihn keine Schuld, wenn die Hilfe unmöglich oder unverhältnismäßig gefährlich ist.

Beispiele

Einige Beispiele für unterlassene Hilfeleistung können sein:

  • Ein Autofahrer sieht, dass ein anderer Autofahrer in einen Unfall verwickelt ist, aber anstatt anzuhalten und Hilfe zu leisten, fährt er einfach weiter.
     
  • Ein Passant sieht, dass jemand in einem See schwimmt und in Schwierigkeiten ist, aber anstatt Hilfe zu leisten (oder welche zu holen) verlässt er die Unglücksstelle.
     
  • Ein Arzt sieht, dass ein Patient in seiner Obhut lebensbedrohlich erkrankt ist, leistet aber keine medizinische Hilfe, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte.
     
  • Jemand bemerkt, dass in das Haus des Nachbarn gewaltsam eingedrungen wird. Er ruft allerdings weder die Polizei, noch leistet er zumutbare Hilfe.
     
  • Eine Person sieht, dass jemand in einer Gefahr oder in einer Notlage ist, aber anstatt zu helfen, beschließt er wegzusehen und nichts zu tun.
Fachanwalt.de-Tipp: Unterlassene Hilfeleistung ist definiert als bedingte „Vorsatztat“, weil der Täter wissentlich (intellektuell) und gewollt (voluntativ; den Willen betreffend) den Tatbestand verwirklicht. Der Schaden wurde demgemäß billigend in Kauf genommen, obwohl er nicht erstrebt und auch nicht verursacht wurde.

Unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge

Im Strafgesetzbuch findet sich dieser Tatbestand nicht, obwohl Medien oft so zitieren. Zur Anwendung kann hingegen § 13 StGB (Begehen durch Unterlassen) in Verbindung mit § 227 StGB (Körperverletzung mit Todesfolge) oder § 229 StGB (Fahrlässige Tötung) kommen.

Garanten: Personen mit besonderer Hilfsverpflichtung

Diese Personengruppe hat die Pflicht, das feste Rechtsgut der „körperlichen Unversehrtheit“ zu schützen. Für Garanten gilt, dass sie verpflichtet sind, Schäden zu verhindern, noch bevor sie entstehen.

Beispiele für Garanten:

  • Personen mit öffentlichem Schutzauftrag: Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehr und ähnliche im Rahmen des Rechtsgüterschutzes.
  • Personen mit enger natürlicher Verbundenheit: Eltern für ihre Kinder, Ehegatten füreinander.
  • Freiwillige Gefahrgemeinschaften, die sich der gegenseitigen Fürsorge verpflichten, wie Bergsteigergruppen und ähnliche.
  • Freiwillige Übernahme der Fürsorge für andere: Bergführer, Babysitter, Sanitäter, Pflege von bedürftigen Personen,  ….
  • Bei gefährlichem Vorverhalten: Unfallverursacher für das Unfallopfer; Täter, die eine schwere Körperverletzung begangen haben, gegenüber ihrem Opfer.
Fachanwalt.de-Tipp: Ein Garant kann bei Unterlassung dem Täter gleichgestellt werden. Er hat in dem Fall wegen desselben Vergehens oder Verbrechens mit einer Strafverfolgung zu rechnen. Da diese Straftat in der Regel schwerwiegender als die „reine“ unterlassene Hilfeleistung“ ist, überlagert sie diese und ist mit höheren Strafen bedroht. Zum Beispiel müssen Eltern unter anderem mit einer Anklage wegen fahrlässiger Tötung rechnen, wenn ihr Kind ertrunken ist und sie dies nicht verhindert haben, obwohl die Möglichkeit dazu bestand.

Strafmaß bei unterlassener Hilfeleistung

Strafmaß (© MQ-Illustrations / stock.adobe.com)
Strafmaß (© MQ-Illustrations / stock.adobe.com)
Das Strafmaß ist von der Zuordnung des Beschuldigten abhängig. Jemand, der nicht per Definition auch Garant ist, unterliegt § 232c StGB. Die Strafe ist mit höchstens einem Jahr Freiheitsstrafe in besonders schweren Fällen angesetzt.

Handelt es sich um einen Garanten, kann das Strafmaß dem der tatsächlichen Tat entsprechen, etwa im Falle von Körperverletzung oder Tötung (§ 13 StGB: Begehen durch Unterlassung). Ein Fachanwalt für Strafrecht kann betroffenen Personen im Einzelfall helfen, sich gegen eine Anklage zu wehren.

Verjährung

Verfolgungsverjährung

Nach § 78 StGB beträgt die Frist für die Verfolgungsverjährung 3 Jahre, da das Höchstmaß der Strafe mit einem Jahr Freiheitsentzug begrenzt ist (§ 232 StGB). Die Verjährung tritt ein, sobald die Tat beendet ist.

Die Verjährung wird unterbrochen:

  • Bei der ersten Vernehmung; Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens oder der Anordnung dazu.
  • Bei Anordnung der richterlichen Vernehmung oder deren Durchführung.

Nach Ablauf der Verjährungsfrist kann das Delikt nicht mehr von Polizei oder Staatsanwalt verfolgt werden (§ 78 StGB).

Vollstreckungsverjährung

Die Vollstreckungsverjährung tritt mit der Rechtskraft der Entscheidung ein. Dies bedeutet, dass gegen das Urteil kein ordentliches Rechtsmittel mehr zulässig ist (§ 79 StGB). Im Falle der unterlassenen Hilfeleistung beträgt sie 5 Jahre.

Wann brauche ich einen Anwalt?

Hilfeleistung bei Situationen, in denen Leben oder Unversehrtheit von Personen gefährdet sind, gehört zu den rechtlichen Verpflichtungen.

Viele Menschen zögern jedoch, in einer solchen Situation zur Tat zu schreiten, teils aus Angst vor Konsequenzen oder weil sie nicht wissen, was genau strafrechtlich relevant ist und was nicht. Dennoch muss man bei Nichteinhaltung dieser Pflicht mit empfindlichen Strafen rechnen (Geld oder Freiheitsstrafe).

Allerdings hängt die Beurteilung der Rechtslage von verschiedenen Faktoren ab:

  • Art der Hilfeleistung;
  • Umfang des Schadens, der durch die unterlassene Hilfeleistung entstanden ist.

Ein Fachanwalt für Strafrecht kann beim Vorwurf von unterlassener Hilfeleistung zur Seite stehen, indem er den Fall analysiert und prüft, ob und welche Pflichten der Beschuldigte im konkreten Fall verletzt hat. Er ist zur Akteneinsicht bereits im Ermittlungsverfahren berechtigt und kann beim weiteren Vorgehen beraten (Strategie zur Strafverteidigung). Kommt es zu einer Anklage, dann ist ein Fachanwalt darauf spezialisiert, die entlastenden Argumente bei Gericht zu präsentieren.

Zusammenfassung

Wichtiges zum Thema unterlassene Hilfeleistung zusammengefasst:

  1. Es handelt sich dabei um ein „echtes Unterlassungsdelikt“, die strafbare Handlung ergibt sich daraus, dass eine Person in einer bestimmten Situation nicht gehandelt hat.
  2. Das helfende Einschreiten muss ohne erhebliche Eigengefährdung des Helfers möglich sein.
  3. Die gesetzlichen Grundlagen finden sich im § 323c StGB.
  4. Das Delikt ist mit Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht.
  5. Die Verfolgungsverjährung tritt nach 3 Jahren ein; die Frist der Vollstreckungsverjährung beträgt 5 Jahre.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass unterlassene Hilfeleistung ein schwerwiegender Vorwurf ist, der strafrechtliche Konsequenzen haben kann. Wer Zeuge eines Notfalls wird, hat eine moralische und rechtliche Verpflichtung, Hilfe zu leisten oder zumindest die Rettungskräfte zu rufen. Unter bestimmten Umständen kann die unterlassene Hilfeleistung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe geahndet werden. Es ist daher wichtig, dass jeder weiß, wie er in Notfällen handeln und Hilfe leisten kann. Im Zweifelsfall ist es besser, zu helfen oder Hilfe zu holen, als nichts zu tun und dadurch möglicherweise eine schwere Schuld auf sich zu laden.


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