Der folgende Ratgeber gibt einen Überblick über den Ablauf eines Strafverfahrens in Deutschland.
Wenn man selbst oder ggf. ein Angehöriger Beschuldigter in einem Strafverfahren ist, sollte man sich mit dem Ablauf eines Strafverfahrens vertraut machen.
Ein Strafverfahren dient vor allem zur Feststellung bzw. Nichtfeststellung einer Straftat und sieht für den Täter gewisse Strafen und Sanktionen für die Begehung von bestimmten Straftaten vor.
Ein Strafverfahren ist geprägt von folgenden Grundsätzen:
- Amtsermittlungsgrundsatz, folgt aus § 244 Abs. 2 StPO
- Beschleunigungsgrundsatz, folgt aus Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs.1 EMRK
- Öffentlichkeitsgrundsatz, folgt aus § 169 GVG.
- Grundsatz des rechtlichen Gehörs, folgt aus Art. 103 Abs.1 GG.
- Grundsatz der Unmittelbarkeit, folgt aus §§ 226, 250 und 261 StPO
- Fair-trial-Gebot, folgt aus Art. 20 Abs.3 GG und Art. 6 Abs.1 EMRK.
- Mündlichkeitsprinzip, folgt aus § 261 StPO.
Ermittlungsverfahren
Ein Strafverfahren beginnt mit der Einleitung des Ermittlungsverfahrens durch die Strafverfolgungsbehörde, wenn ein Anfangsverdacht besteht. Hierzu ist sie nach dem Legalitätsprinzip verpflichtet, wenn Anhaltspunkte für eine Straftat bestehen. Bloße Spekulationen genügen hingegen nicht.
Ausnahme: Wenn ein relatives Antragsdelikt vorliegt, darf die Staatsanwaltschaft nur dann ermitteln, wenn sie ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Wenn ein reines Antragsdelikt vorliegt, bedarf es allerdings einen Antrag des Verletzten.
Unterschied Anfangsverdacht und hinreichender Tatverdacht:
Anfangsverdacht = Die Möglichkeit des Vorliegens einer Straftat, vgl. § 152 Abs. 2 StPO.
Hinreichender Tatverdacht = Wenn nach der Beurteilung der Beweissituation eine spätere Verurteilung wahrscheinlich zu erwarten ist.
Das Ermittlungsverfahren wird auch "Vorverfahren" genannt und ist im deutschen Strafrecht "quasi" der Ausgangspunkt eines jeden Strafverfahrens. Geregelt ist das Ermittlungsverfahren im 2. Abschnitt des 2.Buches der StPO, in den §§ 160 bis 177 StPO.
Dabei handelt es sich um die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft, die als "Herrin des Ermittlungsverfahrens" in der Regel das Verfahren führt und die Polizei als ihre Hilfsbeamten hinzuzieht. In der Praxis sieht es überwiegend so aus, dass die Polizei die Ermittlungen meist allein durchführt. In einem Ermittlungsverfahren wird geklärt, ob sich der Beschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig gemacht hat.
Die Staatsanwaltschaft und die Polizei sind dabei eigentlich verpflichtet, alle belastenden und entlastenden Umstände zu ermitteln. Das ergibt sich aus § 160 Abs. 2 StPO:
"Die Staatsanwaltschaft hat nicht nur die zur Belastung, sondern auch die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln und für die Erhebung der Beweise Sorge zu tragen, deren Verlust zu besorgen ist."
Diesem Erfordernis der objektiven Ermittlung des Sachverhaltes wird die Staatsanwaltschaft jedoch nicht immer gerecht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die ersten Ermittlungen durch die Polizei erfolgen, wovon - wie oben bereits erwähnt - häufig auszugehen ist. Die Polizei ermittelt eben nicht (immer) objektiv.
Wenn man als Beschuldigter eine Vorladung von der Polizei erhält, sollte man der Vorladung nicht Folge leisten. Als Beschuldigter ist man weder verpflichtet, bei der Polizei zu erscheinen, noch ist man verpflichtet, eine Aussage zu machen. Stattdessen sollte man nach Erhalt der Vorladung unverzüglich einen Fachanwalt für Strafrecht einschalten.
Als Zeuge müssen Sie neuerdings unter Umständen auch bei der Polizei erscheinen, wenn Sie von dieser zur Vernehmung geladen worden sind. Dies ergibt sich aus § 163 Abs. 3 StPO. Das gilt aber nur, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Da noch nicht durch die Rechtsprechung geklärt ist, wie konkret dieser Auftrag erteilt sein muss, sollten Sie sich am besten durch einen Strafverteidiger beraten lassen, inwieweit Sie dem nachkommen und der Anwalt mitkommt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn Sie als Zeuge in die vorgeworfene Tat irgendwie verwickelt sind. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes kann aber auch dann ratsam sein, wenn Sie das Opfer einer Straftat geworden sind. Möglicherweise wird Sie Ihr Rechtsanwalt dann zu der Vernehmung als Beistand begleiten.
Als Beschuldigter in einem Strafverfahren müssen Sie eventuell damit rechnen, dass die Polizei gegen Sie bestimmte Zwangsmaßnahmen durchführt. Hierzu gehört etwa die Durchsuchung Ihrer Wohnung oder die Beschlagnahme von bestimmten Gegenständen. Dies ist normalerweise erst nach Einschaltung eines Ermittlungsrichters zulässig. Eine Ausnahme kommt in Betracht, wenn Gefahr im Verzug vorliegt.
Entscheidung nach Abschluss der Ermittlungen
Einstellung des Verfahrens
Nach Durchführung der Ermittlungen inklusive der Gewährung rechtlichen Gehörs beim Beschuldigten entscheidet die Staatsanwaltschaft darüber, wie das Strafverfahren weiter verläuft. Falls es zu dem Ergebnis kommt, dass kein hinreichender Tatverdacht vorliegt, stellt sie das Verfahren gegen den Beschuldigten nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Allerdings kann die Staatsanwaltschaft das Verfahren trotz Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts nach § 153 Abs. 1 StPO wegen Geringfügigkeit einstellen oder aber nach § 153 a Abs. 1 StPO einstellen gegen Auflagen und Weisungen
Erhebung der Anklage
Wenn die Ermittlungen genügenden Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage geben und das Verfahren nicht eingestellt werden soll, erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Beschuldigten durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht. Die "Herrschaft" über das Verfahren geht nun von der Staatsanwaltschaft auf das Gericht über. Das Gericht prüft die Anklage und leitet diese an den Angeschuldigten weiter, damit dieser sich einen Rechtsanwalt suchen kann, falls noch nicht geschehen. Das Gericht prüft vor allem, ob ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist, ob also die Anklage der Staatsanwaltschaft zuzulassen ist. Wenn das Gericht zum Ergebnis kommt, dass ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist, so ergeht ein Eröffnungsbeschluss, §§ 203, 207 StPO.
Erlass eines Strafbefehls
Ein Strafbefehl kommt dann in Betracht, wenn gegen den Beschuldigten eine Geldstrafe oder eine Bewährungsstrafe bis zu einem Jahr verhängt werden soll. Die Staatsanwaltschaft beantragt beim zuständigen Gericht einen solchen Strafbefehl. Erlassen wird der Strafbefehl dann vom Gericht. Ein erlassener Strafbefehl sollte vom Beschuldigten nicht unterschätzt werden. Es bleibt ihm dann eine öffentliche Aufforderung und die Konfrontation mit Zeugen und dem Tatopfer erspart. Denn ein Strafbefehl hat dieselben Rechtsfolgen wie ein Urteil, wenn er rechtskräftig geworden ist. Das bedeutet etwa, dass der Beschuldigte als vorbestraft gilt, wenn gegen ihn eine Geldstrafe von über 90 Tagessätzen oder eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten festgesetzt worden ist (vgl. § 32 Abs. 2 Nr. 5 BZRG).
Rechtsmittel gegen Strafbefehl
Man hat das Recht gegen den Strafbefehl gem. § 410 Abs. 1 StPO innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Einspruch einzulegen. Inwieweit dies sinnvoll ist, sollte er am besten mit seinem Rechtsanwalt besprechen. Ansonsten wird der Strafbefehl rechtskräftig. Wenn man Einspruch eingelegt hat, kommt es zu einer ganz "normalen" Hauptverhandlung.
Zwischenverfahren
Wenn die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten Anklage erhebt und das Gericht prüft, ob hinreichender Tatverdacht gegeben ist und somit das Hauptverfahren eröffnet werden soll, ist das Zwischenverfahren im Gange.
Hauptverfahren und Hauptverhandlung
Im Falle der Eröffnung des Hauptverfahrens untersucht das Gericht, ob der Angeklagte einer Straftat schuldig ist. Dazu führt es eine mündliche Hauptverhandlung durch. In diesem Fall wird der Angeklagte verurteilt, ansonsten freigesprochen. Dabei muss es sich an rechtsstaatlichen Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ halten. Dieser ergibt sich etwa aus Art. 6 Abs. 2 MRK in Verbindung mit Art.103 Abs. 2 GG. Das bedeutet: Der Angeklagte muss hier nicht seine Unschuld beweisen. Es dürfen keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass er die Straftat begangen hat. Da diese Frage in der Praxis häufig unklar ist, ist spätestens hier die Hinzuziehung eines Strafverteidigers zu empfehlen. Opfer einer Straftat sollten ebenfalls einen Opferanwalt hinzuziehen. Dieser kann etwa darüber befinden, ob eine Nebenklage sinnvoll ist. Diese muss beim Gericht beantragt werden.
Rechtsmittel gegen Urteil
Gegen das Urteil des Strafgerichtes kann innerhalb einer Woche nach mündlicher Verkündung ein Rechtsmittel eingelegt werden in Form der Berufung oder der Revision. Diese Frist ist erheblich kürzer als in einem Zivilverfahren.
Worin liegt der Unterschied zwischen Berufung und Revision? Faustformel: Bei einer Berufung findet "quasi" eine neue Beweisaufnahme statt, wo die Zeugen erneut vernommen werden. Bei der Revision wird das Urteil lediglich auf Rechtsfehler geprüft und zwar ohne Verhandlung. Per Beschluss entscheidet das höhere Gericht, ob das Urteil aufgehoben oder die Revision verworfen wird.
Gegen Urteile eines Amtsgerichts kann der Verurteilte Berufung oder Revision einlegen (§ 314 StPO, § 333 StPO). Ob man eher Berufung oder vielleicht doch lieber Revision gegen das Urteil einlegen sollte, wird einem der Fachanwalt für Strafrecht erörtern.
Wenn die Hauptverhandlung in 1. Instanz nicht vor dem Amtsgericht stattfindet, sondern vor dem Landgericht bzw. Oberlandesgericht, ist nur die Revision gegen das Urteil möglich.
Dauer eines Strafverfahrens
Ein Strafverfahren kann sich im Extremfall über Jahre hinziehen. Dies hängt vom Einzelfall und seinen Umständen ab; vor allem hängt es davon ab, wie lange die Staatsanwaltschaft bzw. Polizei ermittelt bzw. ermitteln muss. Es gibt aber auch Fälle, die relativ schnell abgewickelt werden. So gibt es Strafverfahren, die innerhalb weniger Wochen/Monate eingestellt werden, da sich schnell herausstellt, dass der Tatvorwurf sich nicht bestätigt hat.
Faustformeln:
Ein Strafverfahren, welches von der Staatsanwaltschaft eingestellt wird und somit nicht vor Gericht landet, dauert in der Regel 3 bis 6 Monate (Zeitpunkt Erhalt der Vorladung bis Beendigung). Ein Strafverfahren, welches vor Gericht landet, dauert in der Regel 9 bis 12 Monate (Zeitpunkt Erhalt der Vorladung bis Beendigung). Wenn es zu einer zweiten Instanz kommt, dauert das Verfahren in der Regel weitere 6 bis 9 Monate länger.
Kosten eines Strafverfahrens
Zu den Kosten des Strafverfahrens zählen vor allem die Kosten für den Rechtsanwalt/Verteidiger/Pflichtverteidiger sowie die Gerichtskosten.
Die Rechtsanwaltskosten richten sich dabei nach dem RVG (Rechtsanwalts-Vergütungsgesetz). Er kann die Gebühren dabei innerhalb eines gesetzlich bestimmten Rahmens festsetzen. Er erhält in der Regel eine Grundgebühr in Höhe von 200 Euro, sodann eine Vorverfahrensgebühr (Ermittlungsverfahren ohne Gericht) in Höhe von 165 Euro, eine Post- und Telekommunikationspauschale von 20 Euro sowie 19 % Umsatzsteuer. Wenn es zu einer Einstellung des Verfahrens kommt, gibt es in der Regel noch eine Erledigungsgebühr in Höhe von 165 Euro.
Wenn die Sache vor Gericht landet und es zu einer Hauptverhandlung kommt, erhält der Rechtsanwalt noch eine Gebühr von 165 Euro für die Vertreteung im gerichtlichen Verfahren sowie eine Terminsgebühr für die Hauptverhandlung von 275 Euro. Diese Gebühr fällt für jeden weiteren Hauptverhandlungstermin erneut an. Im Falle eines Freispruchs hat die Staatskasse die Rechtsanwaltsgebühren zu tragen. Im Falle einer Einstellung hat der Mandant dennoch seine Rechtsanwaltskosten zu tragen. Alle weiteren Kosten übernimmt die Staatskasse.
Spezialisierte Rechtsanwälte bzw. Fachanwälte für Strafrecht arbeiten regelmäßig mit Honorarvereinbarungen und verlangen vom Mandanten in der Regel weitaus mehr als die vorgenannten Beträge. Hier sollte man sich die Honorarvereinbarung gründlich vorlesen, bevor man diese unterschreibt.
Die Gebühr für einen Pflichtverteidiger übernimmt zunächst die Staatskasse und holt sich diese später vom Angeklagten zurück, wenn dieser verurteilt wird. Im Falle eines Freispruchs hat man keine Pflichtverteidigergebühren zu übernehmen.
Im Strafverfahren werden auch Gerichtskosten erhoben. Diese richten sich - wenn man verurteilt wird - nach der durch das Gericht ausgesprochenen Strafe. Eine Tabelle dazu gibt es in der Ersten Anlage zum Gerichtskostengesetz im Teil 3. Darin sind u.a. folgende Kosten aufgeführt:
- Verurteilung zu Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder zu Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen, 140 Euro
- Verurteilung zu Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder zu Geldstrafe von mehr als 180 Tagessätzen, 280 Euro
- Verurteilung zu Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren, 420 Euro
- Verurteilung zu Freiheitsstrafe bis zu 4 Jahren, 560 Euro
- Verurteilung zu Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren, 700 Euro
- Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mehr als 10 Jahren oder zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, 1.000 Euro
Autor: Harald Büring (Fachanwalt.de-Redaktion)
Foto: © Marco2811 - Fotolia.com