Mit Urteil vom 26.03.2020 zum sogenannten „Kaskadenverweis“ in Darlehensverträgen positioniert sich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und stärkt die Rechte der Verbraucher. Was bedeutet der Beschluss aber konkret für Verbraucher?
Die Rechtsprechung des BGH zum sogenannten „Kaskadenverweis“ wurde vielfach von Verbraucherrechtsanwälten kritisiert. Nun wurde sie vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgehoben.
Der Kaskadenverweis
In Darlehensverträgen, die nach dem 10.06.2010 abgeschlossenen wurden, findet sich die folgende Formulierung:
„Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“
Dementsprechend beginnt die Widerrufsfrist erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben gemäß § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat. In § 492 Abs. 2 BGB sucht man allerdings vergeblich nach konkreten Pflichtangaben. Vielmehr verweist § 492 Abs. 2 BGB auf ein anderes Gesetz, nämlich das „Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB)“. Um die Pflichtangaben zu bestimmen, muss der Verbraucher sich noch mit weiteren Verweisen auseinandersetzen.
Urteil des Bundesgerichtshofs zum „Kaskadenverweis“
Der BGH vertrat die Auffassung, dass dem Verbraucher nach diesem Kaskadenverweis durchaus zuzutrauen sei, die Pflichtangaben für den Beginn der Widerrufsfrist zu bestimmen. In seinem Leitsatz führte der BGH dazu aus:
„a) Die Wendung in einem Verbraucherdarlehensvertrag, die Widerrufsfrist beginne ‚nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat‘, informiert für sich klar und verständlich über den Beginn der Widerrufsfrist.
b) Erläutert der Darlehensgeber den Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB mittels in Klammern gesetzter Beispiele für Pflichtangaben, informiert er den Darlehensnehmer klar und verständlich über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist, wenn es sich bei den von ihm genannten Beispielen um auf den Vertragstyp anwendbare Pflichtangaben im Sinne des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche handelt.“ (BGH, Urteil vom 22.11.2016 – XI ZR 434/15)
Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union
Das LG Saarbrücken hat diese Auffassung nicht geteilt und diese dem EuGH vorgelegt. Der EuGH kam jetzt zum gleichen Schluss:
„Wie sich aus Art. 14 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2008/48 ergibt, beginnt die Widerrufsfrist erst zu laufen, wenn dem Verbraucher die Informationen gemäß Art. 10 dieser Richtlinie übermittelt wurden, sofern der betreffende Zeitpunkt nach dem Tag des Abschlusses des Kreditvertrags liegt. Besagter Art. 10 zählt die Informationen auf, die in Kreditverträgen anzugeben sind.
Verweist aber ein Verbrauchervertrag hinsichtlich der Informationen, die nach Art. 10 der Richtlinie 2008/48 anzugeben sind, auf bestimmte Vorschriften des nationalen Rechts, so kann der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrags weder den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtung bestimmen noch überprüfen, ob der von ihm abgeschlossene Vertrag alle nach dieser Bestimmung erforderlichen Angaben enthält, und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist, über die er verfügen kann, für ihn zu laufen begonnen hat.“ (EuGH, Urteil vom 26.03.2020 – C 66/19)
Wenn der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrages nicht in der Lage ist, die Widerrufsfrist klar zu bestimmen, sondern lediglich auf die Vorschriften des nationalen Rechts verwiesen wird, ist das laut dem EuGH also keine angemessene Widerrufsbelehrung.
Was bedeutet das EuGH-Urteil für Verbraucher?
Basierend auf der Rechtsprechung des EuGH können Verbraucher ihre Willenserklärungen nun widerrufen. Das betrifft nicht nur Immobiliardarlehensverträge, sondern zum Beispiel auch Autofinanzierungen. Die Anwaltskanzlei Lenné rechnet aufgrund dieses EuGH-Urteils zukünftig mit einer erhöhten Vergleichsbereitschaft seitens der Banken.
Wenn auch Sie in Ihrem Darlehensvertrag die oben genannten Fehler bemerkt haben, sollten Sie sich umgehend von einem Fachanwalt beraten lassen. Rechtsschutzversicherungen übernehmen in den meisten Fällen die anwaltlichen und gerichtlichen Gebühren. Für eine Ersteinschätzung und Prüfung Ihres Vertrags steht unsere Kanzlei Ihnen gerne gebührenfrei zur Verfügung.