Arbeitsrecht

Aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Betriebsratsvergütung

25.03.2023
Zuletzt bearbeitet am: 25.03.2023

In einem aktuellen Urteil hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) erneut mit der Entwicklung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern befasst (BAG, Urt. v. 23.11.2022, 7 AZR 122/23). Auch wenn das Urteil des BAG vor der viel diskutierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10.1.2023 (6 StR 133/22) verkündet worden ist (Strafbarkeit wegen Untreue wegen in diesem Zusammenhang rechtswidrig überhöhter Betriebsratsvergütung), ist davon auszugehen, dass die Urteilsgründe des BAG in Kenntnis der Entscheidung des BGH verfasst worden sind. Es stellt sich also die Frage, ob das BAG in seinem Urteil erkennen lässt, wie es zu der BGH-Entscheidung steht. 

Der Fall

Der Kläger war ab 1998 zunächst als Karosseriebauer beschäftigt. 2007 wurde er zum Teamleiter ernannt. Seit 2010 ist er Mitglied des Betriebsrats. Im März 2012 bewarb er sich erfolglos auf eine (andere) Teamleiterstelle. Im Oktober 2012 vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien, dass der Kläger ab November 2012 die Funktion als Teamleiter abgibt sowie als Techniker eingesetzt und entsprechend (niedriger)  tariflich vergütet wird. Seit 2014 ist er als komplett freigestelltes Betriebsratsmitglied. Im Juli 2016 und im März 2018 bewarb er sich jeweils erfolglos auf Abteilungsleiterstellen.

Der Kläger vertritt die Ansicht, ihm stehe eine Entgelterhöhung in Höhe der durchschnittlichen Vergütungsentwicklung der von ihm benannten Vergleichspersonen zu. Die im Zeitpunkt seiner Übernahme des Betriebsratsamts im Betrieb beschäftigten (neun) Teamleiter bildeten die zutreffende Vergleichsgruppe. Zwei der im Jahr 2010 als Teamleiter beschäftigten Arbeitnehmer seien im Jahr 2018 als Projektleitung tätig, drei als Teamleitung, drei als Abteilungsleiter und einer als Senior Fachreferent. Der Kläger meint zudem, die Teamleitung 2012 allein aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit aufgegeben zu haben; angesichts angelaufener Mehrarbeitsstunden habe er letztlich vor der Entscheidung gestanden, entweder sein Betriebsratsmandat niederzulegen oder seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu ändern. Im Übrigen behauptet er, die beiden Abteilungsleiterstellen, auf die er sich beworben habe, seien ihm nicht wegen mangelnder Qualifikation, sondern wegen seines Betriebsratsamts nicht übertragen worden.

Die Begründung des BAG 

Das BAG stellt fest, dass ein Anspruch des Klägers darauf, ihm eine Vergütung in Höhe eines Prozentsatzes des Durchschnitts der Vergütung der von ihm benannten Vergleichsgruppe dem Kläger eine Vergütung zu zahlen, weder nach § 37 Abs. 4 BetrVG noch nach § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG besteht.  Unter anderem habe der Kläger nicht dargetan, dass die Jahresgehälter der Arbeitnehmer der von ihm gebildeten Vergleichsgruppe (sämtlich) auf einer betriebsüblichen beruflichen Entwicklung beruhen.

Die genannten Vorschriften haben folgenden Inhalt: 

  • Nach § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung.  
  • Nach § 78 Satz 2 BetrVG dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt werden. 

Das BAG nimmt insoweit (insbesondere zu § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG) im Wesentlichen auf seine frühere Rechtsprechung Bezug. Unter anderen führt das BAG in den Entscheidungsgründen Folgendes aus (Auszug):

  • § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG garantiert dem Betriebsratsmitglied nicht die der Höhe nach absolut gleiche Vergütung, die vergleichbare Arbeitnehmer erhalten. Seine Entgeltentwicklung darf aber während der Dauer seiner Amtszeit in Relation zu derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung nicht zurückbleiben.
  • Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie das Betriebsratsmitglied und dafür in gleicher Weise wie dieses fachlich und persönlich qualifiziert waren. Für die Bestimmung des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer ist auch dann der Zeitpunkt der Amtsübernahme maßgeblich, wenn das Betriebsratsmitglied zu einem späteren Zeitpunkt von der beruflichen Tätigkeit freigestellt wird.
  • Zur betriebsüblichen Entwicklung nach § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG:
    • Maßstab sind nicht die „an sich“ vergleichbaren Arbeitnehmer, sondern solche „mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“. In diesem Zusammenhang kann für ein (auch) künftiges Anpassungsverlangen wie das vorliegende nicht allein die berufliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer in der Vergangenheit maßgeblich sein.
    • Maßgebender Zeitpunkt für den Vergleich ist zunächst der Zeitpunkt der Wahl des Betriebsratsmitglieds, also der Zeitpunkt, in dem sich dieses noch ausschließlich seiner beruflichen Tätigkeit gewidmet hat. Das gilt auch für freigestellte Betriebsratsmitglieder.
    • Üblich ist eine Entwicklung, die vergleichbare Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der NORMALEN betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben. Der Geschehensablauf muss so TYPISCH sein, dass zumindest in der ÜBERWIEGENDEN Anzahl der vergleichbaren Fälle mit der jeweiligen Entwicklung gerechnet werden kann. Die Übertragung höherwertiger Tätigkeiten ist nur dann betriebsüblich, wenn diese dem Betriebsratsmitglied hätten übertragen werden MÜSSEN oder die MEHRZAHL der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen Aufstieg erreicht.
    • Dabei ist im Sinn eines Mindestschutzes KEINE ANNAHME ÜBER die INDIVIDUELLE berufliche ENTWICKLUNG des Betriebsratsmitglieds anzustellen. Maßgeblich ist NICHT die HYPOTHETISCHE ENTWICKLUNG des Betriebsratsmitglieds selbst, sondern die betriebliche Weiterentwicklung, die ein vergleichbarer Arbeitnehmer nach den betriebsüblichen Umständen durchläuft.
    • Der Schutzzweck des § 37 Abs. 4 BetrVG greift grundsätzlich nicht, wenn dauerhaft eine andere, gegenüber der Tätigkeit bei Amtsaufnahme geringerwertige Tätigkeit und eine dieser entsprechende, niedrigere Vergütung vereinbart wird. Weder gibt es eine dahingehende prinzipielle „vertragliche Veränderungssperre“ noch ist in so einem Fall der erlittene „Nachteil“ typischerweise betriebsratsamtsbedingt.  - Laut BAG hat der Kläger aufgrund der Vereinbarung im Oktober 2012 die Vergleichsgruppe der Teamleiter aufgegeben. Es sind laut BAG auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass hierin eine unzulässige Benachteiligung des Klägers als Betriebsratsmitglied i.S.d. § 78 Satz 2 BetrVG liegt.
  • § 37 Abs. 4 BetrVG ist keine abschließende Regelung, sondern erleichtert lediglich die Durchsetzung durch einfacher nachzuweisende Anspruchsvoraussetzungen. Daneben kann ein unmittelbarer Anspruch aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. § 78 S. 2 BetrVG bestehen, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung wegen Betriebsratstätigkeit darstellt. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsratsmitglied daher eine berufliche Entwicklung (inkl. Entgelt) gewährleisten, die derjenigen entspricht, die es (selbst, also nicht vergleichbare Arbeitnehmer) ohne seine Amtstätigkeit durchlaufen hätte. - Jedoch ist der vom Kläger vorgebrachte Sachverhalt laut BAG nicht geeignet, die von ihm begehrte Rechtsfolge auszulösen. Das Begehren des Klägers richtet sich nicht auf eine Vergütung, die der eines Abteilungsleiters (oder dem Durchschnitt der drei im Klageantrag benannten Arbeitnehmer, die diese Position als vormalige Teamleiter nunmehr innehaben) entspricht. 

Bewertung

Manche Sätze des BAG lesen sich von der Tendenz her wie „Flankenschutz“ für den BGH, auch wenn die Entscheidung des BGH nicht ausdrücklich erwähnt wird. Insgesamt hält das BAG an seiner Rechtsprechung zu § 37 Abs. 4 BetrVG fest und führt sie im Detail fort. Es gibt insoweit also vom BAG keine Neuigkeiten oder Überraschungen. 

Zwar betont das BAG, dass auch eine individuelle Betrachtung nach § 78 S. 2 BetrVG möglich ist, so dass es nicht auf § 37 Abs. 4 BetrVG ankommt. Jedoch dürfte dieser Ansatz kaum geeignet sein, um etwa eine Erhöhung der Betriebsratsvergütung auf Manager-Niveau als zwingend zur Vermeidung einer Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds zu begründen. Gleiches dürfte für eine tatsächlich getroffene Vereinbarung über eine Beförderung auf eine Managerposition gelten.

Wenn überhaupt eine Änderung der Spielregeln für die Bemessung der Vergütung erfolgen sollte, geht der Weg dahin offenbar nur über ein Tätigwerden des Gesetzgebers. Ob das auch geboten ist oder nicht, ist eine andere Frage.  

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