Schreiben an Versorgungsempfänger
Viele Versorgungsempfänger von Betriebsrenten der Airbus Defence and Space GmbH haben im Juli 2023 ein Schreiben Ihres Arbeitgebers erhalten, mit welchem zur Anpassung der betrieblichen Versorgungsbezüge zum 01.07.2023 Stellung bezogen wurde.
Mit dem Schreiben wird die Anpassung der Betriebsrente aus wirtschaftlichen Gründen verweigert.
Die Eigenkapitalverzinsung sei unzureichend, ferner drohe eine Eigenkapitalauszehrung.
Angeblich unzureichende Eigenkapitalverzinsung
In dem Schreiben wird zunächst auf die angeblich nicht ausreichende Eigenkapitalverzinsung eingegangen. Dort heißt es auszugsweise:
Sie beziehen Versorgungsbezüge Ihres ehemaligen Arbeitgebers bzw. dessen Rechtsnachfolger. Nach § 16 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) besteht die Verpflichtung, alle drei Jahre die Anpassung Ihrer Versorgungsbezüge zu prüfen.
Entsprechend der gesetzlichen Vorgaben hat Ihr ehemaliger Arbeitgeber eine mögliche Anpassung Ihrer Versorgungsbezüge geprüft. Dabei wurden Ihre Interessen als Versorgungsempfänger/in sowie die wirtschaftliche Lage Ihres ehemaligen Arbeitgebers zugrunde gelegt.
Die Überprüfung hat ergeben, dass die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung rechtfertigt, weil das Unternehmen damit übermäßig belastet und seine Wettbewerbsfähigkeit gefährdet würde. Es ist keine angemessene wirtschaftliche Lage gemäß der Rechtsprechung gegeben, wenn die Grundsätze der HGB-Bilanzierung keine Eigenkapitalrendite von mehr als aktuell 4,5 % (ermittelt auf Basis der Monatsdurchschnittswerte der Umlaufrenditenanleihen der öffentlichen Hand – www.bundesbank.de, März 2023, plus 2 % Aufschlag) erwirtschaftet wurde bzw. in den drei Folgejahren auch voraussichtlich erwirtschaftet werden kann.“
Angegebene Internet-Quelle existiert nicht
Die unzureichende Eigenkapitalrendite kann eine Ablehnung der Rentenerhöhung rechtfertigen.
Die bloße Behauptung ohne konkrete, unternehmensbezogene Zahlen dürfte aber den Anforderungen der Rechtsprechung nicht genügen.
Auch eine nähere, für den Versorgungsempfänger transparente Begründung des Ergebnisses anhand der Situation des Unternehmens erfolgt nicht. Die in Bezug genommene Umlaufrendite für Anleihen der öffentlichen Hand nicht angegeben. Der hinterlegte Link „www.bundesbank.de“ führt zum Portal der Bundesbank. Die Zahlen sind dort nicht ohne weiteres auffindbar. Erst eine Google-Suche führt zur gesuchten Unterseite, dort sind die Zahlen aber nicht aufgeführt.
Es findet sich lediglich ein Vermerk: „Die Zeitreihe ist nicht gültig oder nicht verfügbar“ (siehe Bild)
Eigenkapitalauszehrung soll drohen
Weiter heißt es aber in dem Schreiben, dass eine Eigenkapitalauszehrung drohe, weil die Eigenkapitalausstattung ungenügend sei. Dort ist ausgeführt:
„Die wirtschaftliche Belastbarkeit der Airbus Defence and Space GmbH ist beeinträchtigt, da deren Eigenkapitalausstattung ungenügend ist. Verlorenes Eigenkapital wurde noch nicht wieder auf den ursprünglichen Stand durch Gewinne aufgebaut und die verlorene Vermögenssubstanz muss erst wieder aufgebaut werden. In derartigen Fällen spricht man von einer Eigenkapitalauszehrung. Aufgrund der Prognose ist davon auszugehen, dass die verlorene Vermögenssubstanz bis zum nächsten Anpassungsstichtag nicht aufgebaut ist, erst recht ist eine Überschreitung der Summe des gezeichneten Kapitals und der Kapitalrücklage für die kommenden Jahre nicht absehbar.“
Zweifel an der Wirksamkeit der Ablehnung
Das Schreiben wird Zweifel an der formalen und materiellen Wirksamkeit der Ablehnung auf. Die gesetzlichen Vorgaben des § 16 BetrAVG und die Rechtsprechung stellen strenge formale und materielle Anforderungen, an deren Erfüllung erhebliche Zweifel bestehen.
Die formelhaften Wendungen in dem Ablehnungsschreiben sind zu dünn, um aus Sicht des Versorgungsempfängers die Fakten zu prüfen. Die Angaben zur wirtschaftlichen Situation decken sich auch nicht mit den von Airbus selbst an anderer Stelle bekanntgegebenen Zahlen. So hat der Airbus-Konzern in einer Pressemitteilung für das Jahr 2022 hervorragende Zahlen dokumentiert.
Danach lag der wertmäßige Auftragseingang bei Airbus Defence and Space bei 13,7 Milliarden Euro gegenüber einer identischen Zahl für das Jahr 2021, was einem Book-to-bill-Verhältnis von rund 1,2 entspricht.
Ohne nähere Darlegung der Zahlen ist jedenfalls nicht nachvollziehbar, warum es an einer hinreichenden Eigenkapitalverzinsung fehlt und eine Eigenkapitalauszehrung droht, wie Airbus Defence and Space GmbH schreibt.
Grundsatz: Anpassungspflicht gem. § 16 Abs. 1, 2 BetrAVG
Grundsätzlich muss der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung prüfen und hierüber nach billigem Ermessen entscheiden (§ 16 Abs. 1). Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen.
Nach § 16 Abs. 2 BetrAVG gilt die Verpflichtung zur Anpassungsprüfung als erfüllt, wenn die Anpassung nicht geringer ist als der Anstieg des Verbraucherpreisindexes für Deutschland oder der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens im Prüfungszeitraum. In vielen Fällen wird der Einfachheit halber nach dem Verbraucherpreisindex angepasst. Absatz 3 regelt Ausnahmen, die vorliegend nicht eingreifen dürften.
Wirtschaftliche Lage und zu Recht unterbliebene Anpassung
Zentral ist die Regelung des § 16 Abs. 4 BetrAVG. Diese lautet:
„Sind laufende Leistungen nach Absatz 1 nicht oder nicht in vollem Umfang anzupassen (zurecht unterbliebene Anpassung), ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, die Anpassung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Eine Anpassung gilt als zurecht unterblieben, wenn der Arbeitgeber dem Versorgungsempfänger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens schriftlich darlegt, der Versorgungsempfänger nicht binnen drei Kalendermonaten nach Zugang der Mitteilung schriftlich widersprochen hat und er auf die Rechtsfolgen eines nicht fristgerechten Widerspruchs hingewiesen wurde."
Diese komplizierte Regelung lässt sich wie folgt vereinfacht darstellen:
Der Arbeitgeber kann sich nur dann auf die Anpassung der Betriebsrente (Erhöhung nach dem Verbraucherpreisindex) aus wirtschaftlichen Gründen berufen,
- wenn er eine ordnungsgemäße Abwägung der Belange des Versorgungsempfängers und der wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers vorgenommen,
- er dem Versorgungsempfänger die wirtschaftliche Lage des Unternehmens schriftlich darlegt und nach den Vorgaben der Rechtsprechung mit Zahlen hinterlegt begründet,
- er eine Widerspruchsbelehrung in das Schreiben mit aufgenommen hat und
- der Versorgungsempfänger nicht binnen drei Kalendermonaten nach Zugang der Mitteilung schriftlich widersprochen hat.
Rechtliche Vorgaben
Die rechtlichen Hürden sind für den Arbeitgeber hoch. Eine Berufung auf der Anpassung entgegenstehende wirtschaftliche Gründe erfordert die Einhaltung diverser formaler und materiellrechtlicher Vorgaben. Nachfolgend wird auf die Einwendungsmöglichkeiten eingegangen, die sich nach der Rechtsprechung ergeben. Gerichtliche Entscheidungen, die die Unwirksamkeit des aktuellen Ablehnungsschreibens von Airbus Defence and Space GmbH bestätigen, gibt es noch nicht, dazu ist das Schreiben "zu frisch". Bei den Ausführungen handelt es sich um meine Einschätzung als Rechtsanwalt.
Widerspruchsbelehrung
Dem mir vorliegenden Schreiben war schon keine Widerspruchsbelehrung gem. § 16 Abs. 4 BetrAVG beigeschlossen, so dass die Ausschlusswirkung nicht greifen dürfte.
Doch auch materiellrechtlich halte ich die Ablehnung für angreifbar.
Belange des Versorgungsempfängers
Bei der Prüfung und Entscheidung ist neben den Belangen des Versorgungsempfängers die „wirtschaftliche Lage des ArbGeb“ zu berücksichtigen.
Eine Auseinandersetzung mit den Belangen des Versorgungsempfängers fehlt.
Die „wirtschaftliche Lage des Unternehmens“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff.
Grundsätzlich wird der wirtschaftlichen Lage in Literatur und Rechtsprechung der Charakter eines „Dämpfungselementes“ zuerkannt, das nur dann relevant wird, wenn die wirtschaftliche Lage so schlecht ist, dass sie eine Anpassung der Rente an die Geldentwertung für die Zukunft nicht zulässt.
Prognoseentscheidung
Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers eine zukunftsbezogene Größe. Sie umschreibt seine künftige Belastbarkeit und setzt eine langfristige Prognose voraus.
Beurteilungsgrundlage für die insoweit langfristig zum Anpassungsstichtag zu erstellende Prognose ist grundsätzlich die bisherige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens vor dem Anpassungsstichtag, soweit daraus Schlüsse für dessen weitere Entwicklung gezogen werden können. Für eine zuverlässige Prognose muss die bisherige Entwicklung über einen längeren repräsentativen Zeitraum von in der Regel mindestens drei Jahren ausgewertet werden (Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz
8. Auflage 2022, Rz. 171 ff.; BAG 17.4.1996 – 3 AZR 56/95, AP BetrAVG § 16 Nr. 35 = NZA 1997, 155; 11.10.2011 – 3 AZR 527/09, AP BetrAVG § 16 Nr. 81 = NZA 2012, 454; 12.12.2017 – 3 AZR 305/16, AP BetrAVG § 16 Nr. 122 = NZA 2018, 1499; Pauly DB 1996, 1731 (1732)).
Ermittlung des Unternehmensgewinns
Weitgehend unstreitig ist, dass stets vom zu prognostizierenden Unternehmensgewinn („Ertrag“) ausgegangen werden muss. Ausgangspunkt ist der handelsrechtliche Jahresabschluss. Zu berücksichtigen sind aber auch Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, Rücklagen und stille Reserven, Abschreibungen und Scheingewinne, Außerordentliche Erträge oder Verluste, Wertzuwächse und Bilanzielle Rücklagen für Investitionen. Daran fehlt es hier.
Angemessene Eigenkapitalverzinsung
Airbus ist zuzustimmen, dass das Fehlen einer angemessenen Eigenkapitalverzinsung der Anpassung der Betriebsrenten entgegenstehen kann. Dazu gehört aber mehr Substanz, als in dem Schreiben wiedergegeben.
In seinem Urteil vom 17.4.1996 (BAG 17.4.1996 – 3 AZR 56/95, AP BetrAVG § 16 Nr. 35 = NZA 1997, 155) hat das BAG zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und damit der Arbeitsplätze eines Unternehmens eine angemessene Eigenkapitalverzinsung als notwendig betrachtet. Um sich auf lange Sicht auf dem Markt behaupten zu können, müsse ein Unternehmen Gewinne abwerfen, um weiterhin für Investoren attraktiv zu bleiben (vgl. BAG 23.5.2000 – 3 AZR 146/99, AP BetrAVG § 16 Nr. 45 = NZA 2001, 1251).
Zugrundezulegen ist die tatsächliche Verzinsung des Eigenkapitals. Unerheblich ist, ob eine höhere Verzinsung hätte erreicht werden können, wenn unternehmerische Entscheidungen anders getroffen worden wären (BAG 21.8.2012 – 3 ABR 20/10, BetrAVG § 16 Nr. 87; 28.5.2013 – 3 AZR 125/11, AP BetrAVG § 16 Nr. 90 = NZA-RR 2013, 598; 21.4.2015 – 3 AZR 102/14, AP BetrAVG § 16 Nr. 113 = NZA 2015, 1216). Die Höhe der Eigenkapitalverzinsung berechnet sich aus dem Verhältnis des erzielten Betriebsergebnisses zum Eigenkapital (BAG 23.5.2000 – 3 AZR 146/99, AP BetrAVG § 16 Nr. 45 = NZA 2001, 1251; 26.4.2018 – 3 AZR 686/16, AP BetrAVG § 16 Nr. 123 = NZA 2018, 863).
Dazu fehlen wiederum Angaben, die in Bezug genommene Quelle gibt es nicht:
Unternehmensübergreifende Lagebeurteilung?
Grundsätzlich kommt auch eine konzernübergreifende Beurteilung in Betracht.
Über die Voraussetzungen für eine Zurechnung der wirtschaftlichen Lage anderer Konzernunternehmen, das Verfahren zur Berechnung und die daraus entstehenden Folgerungen herrscht noch keine endgültige Klarheit. Denkbar ist eine konzernweite Betrachtung etwa bei einer schlechten wirtschaftliche Lage des Unternehmens bei guter Lage des Konzerns (Blomeyer/Rolfs/Otto, Betriebsrentengesetz, 8. Auflage 2022, Rn. 213-216). Die Rechtsprechung des BAG hat sich fallweise entwickelt (vgl. dazu etwa Heikel Betriebsrentenanpassung, 2014, S. 201 ff.; Kruip Betriebsrentenanpassung, 1997, S. 31 ff.; Schlewing RdA 2010, 364 (366); Vogt NZA 2013, 1250 (1252)).
Aus diesem Grunde sprechen gute Gründe dafür, dass die Ablehnung der Airbus Defence and Space GmbH, die Betriebsrenten im Anpassungszyklus Juli 2023 anzupassen, nicht gerechtfertigt ist.
Ob vorliegend eine unternehmensübergreifende Lagebeurteilung möglich ist, muss noch geklärt werden.
Sie sind von der Ablehnung betroffen?
Betroffenen Versorgungsempfängern empfehle ich, in jedem Fall Widerspruch gegen das Schreiben einzulegen. Auch dann, wenn in Ihrem konkreten Ablehnungsschreiben keine Belehrung erfolgt ist, sollte dem Arbeitgeber klargemacht werden, dass mit der Entscheidung kein Einvernehmen besteht.
Wenn eine Belehrung unter dem Schreiben zu finden ist, dann muss der Widerspruch immer innerhalb von drei Kalendermonaten eingelegt werden (§ 16 Abs. 4 BetrAVG). Da das Schreiben nur mit „Juli 2023“ ohne konkretes Datum datiert ist, empfehle ich, mit dem 01.07.2023 als Zugangszeitpunkt zu rechnen. Nur so vermeidet man einen zu späten Widerspruch. Der Widerspruch müsste somit innerhalb von drei Monaten ab dem 01.07.2023, somit bis 01.10.2023, erfolgen. Der 01.10.2023 ist ein Sonntag, sodass die Frist am 02.10.2023 abläuft. Fällt der letzte Tag einer Frist auf einen Sonnabend, einen Sonn- oder einen Feiertag, verlängert sich die Frist auf den nächsten Werktag, § 193 BGB. Ich empfehle, den Widerspruch unverzüglich, also deutlich vor Fristablauf, einzulegen.
Bitte achten Sie bei der Widerspruchserhebung unbedingt darauf, dass Sie später den Zugang nachweisen können. Denkbar wäre hier ein Einwurfeinschreiben, eine Übermittlung per Boten (der Bote sollte kein Familienangehöriger sein, sondern neutral) oder eine Bestätigung des Zugangs durch den Arbeitgeber. Auch eine Übermittlung per Telefax ist denkbar.
Beratungsangebot
Wenn Sie Unterstützung bei der Durchsetzung Ihres Anspruchs auf Anpassung der Betriebs-rente bzw. der Abwehr der Ablehnung wegen wirtschaftlicher Gründe benötigen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Ich bin seit 20 Jahren Rechtsanwalt, Fachanwalt für Versicherungs- und Arbeitsrecht und auf das Betriebsrentenrecht spezialisiert.
Auf Ihre Nachricht freue ich mich.