Was ist, wenn die Immobilie im Nachlass vom Erben verkauft wurde?
Nicht selten kommt es vor, dass während Auseinandersetzungen zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten Nachlassgegenstände, insbesondere Immobilien, verkauft werden. Gestritten wird dann regelmäßig über die Frage, ob der erzielte Kaufpreis den wahren Wert der verkauften Nachlasssache darstellt oder „unter Preis“ weggegeben wurde, um die Ansprüche des enterbten Pflichtteilsberechtigten zu reduzieren.
Ein Beitrag von Rechtsanwalt Kolja Schlecht, LL.M., Fachanwalt für Erbrecht
Der BGH hat mit Urteil vom 29.09.2021 (- IV ZR 328/20-) zur Berechnung des Pflichtteils einen Anspruch auf Wertermittlung auch nach Veräußerung einer Immobilie bejaht, nachdem die Klägerin zunächst in der ersten Instanz obsiegt hatte und im Berufungsverfahren nahezu vollständig unterlegen war.
Die Klägerin war die einzige Tochter ihres verwitweten und im Januar 2017 verstorbenen Vaters. Sie war testamentarisch enterbt worden und somit pflichtteilsberechtigt. Im Wege der Stufenklage nahm sie den Erben u.a. auf Auskunft und Wertermittlung eines zwischenzeitlich bereits verkauften Grundstücks in Anspruch.
Erblasser selbst Miterbe einer Immobilie
Der verstorbene Vater selbst war bereits im Jahre 2014 neben drei weiteren Personen Miterbe zu ½ und hierdurch auch Miteigentümer zu ½ an einem Hausgrundstück geworden. Der Erbe des Vaters und die weiteren Miterben veräußerten das Grundstück im November 2017 für € 65.000.
In einem Gutachten aus dem Jahr 2016 hingegen wurde ein Grundstückswert in Höhe von € 245.000 € ermittelt. Außerdem bewertete eine Bank dann im Juli 2017 die Immobilie mit € 58.000. Schlussendlich kam ein weiteres von der Tochter in Auftrag gegebenes Gutachten aus dem Jahr 2018 auf einem Wert des Grundstücks zwischen € 120.000 bis € 175.000.
Der beklagte Erbe stellte sich auf den Standpunkt, dass aufgrund der nach dem Tod des Erblassers zeitnahen Veräußerung der Immobilie allein der Kaufpreis für die Pflichtteilsberechnung entscheidend sei.
Das Landgericht Zwickau verurteilte jedoch den Erben u.a. dazu, den Wert der im Miteigentum des Vaters der Klägerin durch Vorlage eines Wertgutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zu ermitteln.
Kaufpreis muss nicht Grundstückswert entsprechen
Das OLG Dresden hingegen meinte, der Tochter fehle ein schutzwürdiges Interesse an der Wertermittlung. Da der Verkauf der Immobilie zeitnah zum Erbfall erfolgte und bereits drei Bewertungen vorlagen, die zwar zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen kamen, sei nach Ansicht der OLG eine vierte Bewertung zur Ermittlung des Pflichteilsanspruchs nur geeignet, die Unsicherheiten zum Verkaufswert der Immobilie zu steigern.
Das OLG folgte hingegen der Argumentation des Erben und urteilte, dass nur der Verkaufspreis maßgeblich sei. Demgemäß wies das OLG die Klage bis auf einen Zahlungsanspruch von € 270,25 ab.
Schutzwürdiges Interesse des Pflichtteilsberechtigten
Der BGH korrigierte zu Recht diese Entscheidung und bestätigte, dass ein Pflichtteilsberechtigter auch nach dem Verkauf eines Nachlassgegenstands einen Anspruch auf Wertermittlung haben kann. Ein berechtigtes Interesse besteht gerade dann, wenn bereits mehrere unterschiedliche Bewertungen vorliegen, da die entsprechenden Auskünfte des Erben dem Pflichtteilsberechtigten kein klares Bild von dem Nachlassbestand geben. Würde man diesen Anspruch verwehren, würde dem Pflichtteilsberechtigten so der Nachweis, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht, verwehrt oder zumindest erschwert.
Bei derart stark abweichenden Bewertungen muss dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit gegeben werden, einzuschätzen, ob sich ein weiterer Streit über die Höhe des Wertes lohne. Der BGH betont, dass auch bei einem schon veräußerten Erbstück die Wertermittlung möglich bleiben müsse, um den tatsächlichen Wert ermitteln zu können.
Kein Anspruch auf Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen
Der BGH erkannte zudem einen Fehler im erstinstanzlichen Urteil des LG Zwickau, da dieses fälschlich die Wertermittlung unter Einsatz eines öffentlich bestellten und vereidigten Gutachters zugesprochen hatte. Das Gesetz jedoch gibt einen solchen Anspruch nicht her. Ein Sachverständiger muss lediglich unparteiisch, nicht jedoch zwingend öffentlich bestellt und vereidigt, sein.
Das Urteil ist insoweit zu begrüßen, als dass erneut den grundsätzlich bestehenden Anspruch auch einer bereits verkauften Immobilie bestätigt wurde. Jedoch macht auch dieser Fall wieder deutlich, wie lang und „steinig“ der gerichtliche Weg durch die Instanzen sein kann und mit welchen unterschiedlichen Ergebnissen gerechnet werden muss.
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