Erfurt (jur). Wer mit mehreren Erkrankungen insgesamt mehr als sechs Wochen krank ist, muss nachweisen, dass es sich tatsächlich um verschiedene Erkrankungen handelt. „Dem steht nicht entgegen, dass der hiernach erforderliche Vortrag im Regelfall mit der Offenlegung der einzelnen zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen im maßgeblichen Zeitraum verbunden ist“, so der Leitsatz eines am Dienstag, 2. Mai 2023, veröffentlichten Urteils des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt (Az.: 5 AZR 93/22). Grundgesetz und EU-Recht seien dadurch nicht verletzt.
Der Kläger arbeitet in der Gepäckabfertigung am Frankfurter Flughafen und war in den Jahren 2019 und 2020 in erheblichem Umfang krank - zwischen dem 24. August 2019 und dem 13. August 2020 an insgesamt 110 Tagen.
Zwischen dem 18. August und 23. September 2020 erkrankte der Arbeitnehmer mehrfach erneut für ein bis drei Tage. Hierfür leistete der Arbeitgeber nun aber keine Lohnfortzahlung mehr. Es müsse sich um Fortsetzungserkrankungen handeln, für die der Lohnfortzahlungszeitraum überschritten sei.
Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht – auch mit Unterbrechungen – für insgesamt sechs Wochen. Ist dieser Zeitraum erschöpft, entsteht ein neuer Anspruch wegen derselben Erkrankung erst dann, wenn der Arbeitnehmer mindestens sechs Monate lang nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig war. Bei chronischen oder Dauer-Erkrankungen entsteht ein neuer Lohnfortzahlungsanspruch spätestens alle zwölf Monate. Für eine andere Erkrankung muss der Arbeitgeber dagegen auf jeden Fall für sechs Wochen Lohnfortzahlung leisten.
Der Arbeitnehmer meinte, Grund für seine Fehltage zwischen dem 18. August und 23. September 2020 seien verschiedene neue Erkrankungen gewesen. Mit seiner Klage verlangte er Lohnfortzahlung für insgesamt zehn Tage. Zum Nachweis legte er die Diagnose-Codes (ICD 10) der neuen Erkrankungen vor und benannte die früheren Krankheitstage, die nach seiner eigenen Einschätzung auf dieselben Erkrankungen zurückgehen. Andere frühere Erkrankungen müsse er nicht offenlegen.
Dem Arbeitgeber reichte dies nicht aus, und er verweigerte auch nach diesen Auskünften die Lohnfortzahlung.
Mit seinem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil vom 18. Januar 2023 gab das BAG nun dem Arbeitgeber recht. Der Arbeitnehmer müsse sämtliche Erkrankungen offenlegen und gegebenenfalls auch die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Eine ärztliche Erstbescheinigung genüge insbesondere dann nicht mehr, wenn sie von einem anderen Arzt ausgestellt wurde. Denn diese habe dann naturgemäß keinerlei Aussagekraft dazu, ob es sich um eine Folgeerkrankung handelt.
Dieser Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sei „verhältnismäßig und damit gerechtfertigt“, urteilte das BAG. Denn nur so lasse sich klären, ob ein weiterer Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht. Dass Arbeitgeber die Krankenkasse um eine Einschätzung bitten können, ob eine Folgeerkrankung besteht, ändere daran nichts. Diese Einschätzung sei weder für die Arbeitgeber noch für die Arbeitsgerichte bindend, zumal die Krankenkassen hier nicht unparteiisch seien, sondern eigene finanzielle Interessen hätten.
Den Vorschlag, dass Arbeitnehmer ihre Erkrankungen nur einem Sachverständigen offenlegen, lehnten die Erfurter Richter ab. Solche „geheime Verfahren“ seien mit den Grundsätzen des Rechtsstaats nicht vereinbar. Denn auch der Arbeitgeber müsse die Möglichkeit haben, ein Sachverständigengutachten zu überprüfen.
Zwar hätten Arbeitnehmer grundsätzlich ein hohes Interesse am Schutz ihrer Gesundheitsdaten. Gleichzeitig durchbreche die Lohnfortzahlung aber den Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ und greife so in die Berufsfreiheit der Arbeitgeber ein. Die gesetzlichen Regelungen zum Sechs-Wochen-Zeitraum hätten daher den Zweck, dass die wirtschaftliche Belastung durch die Lohnfortzahlung in einem zumutbaren Rahmen zu halten. Für die Arbeitgeber müsse dies in einem rechtsstaatlichen Verfahren überprüfbar sein.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock