Medizinrecht

Arzt nicht für Depression nach Diagnose-Aufklärung haftbar

Zuletzt bearbeitet am: 08.12.2023

Karlsruhe (jur). Die Information über eine ärztliche Diagnose kann Betroffene und ihre Angehörigen psychisch schwer belasten. Für eine so entstandene Depression enger Angehöriger muss der Arzt aber nicht haften, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 20. Mai 2014 entschied (Az.: VI ZR 381/13).

Im konkreten Fall war Anfang 2011 bei einem Vater die erbliche Krankheit Chorea Huntington diagnostiziert worden. Diese bislang unheilbare, früher im Volksmund als Veitstanz bezeichnete Krankheit führt zu einer fortschreitenden Zerstörung bestimmter Teile des Gehirns. Erste Symptome treten meist mit etwa 40 Jahren auf, nach durchschnittlich 15 weiteren Jahren endet die Krankheit tödlich.

Der Mann war geschieden, das Sorgerecht für den damals 16-jährigen Sohn und die zwölfjährige Tochter übten beide Eltern gemeinsam aus. Allerdings war der Mutter das alleinige „Gesundheitsfürsorgerecht“ zugewiesen.

Der Mann befreite daher seinen Arzt von der Schweigepflicht, damit er die Mutter über die Diagnose der Erbkrankheit informieren kann. Nach eigenen Angaben auf Wunsch seines Patienten lud der Arzt die Mutter zu einem Gespräch ein. Dabei informierte er sie über die Erkrankung ihres Ex-Mannes und auch darüber, dass die gemeinsamen Kinder mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils 50 Prozent die Krankheit geerbt haben.

Die Mutter reagierte auf diese Informationen mit einer Depression. Seit April 2011 ist sie dauerhaft krank und nicht in der Lage, zu arbeiten. Eine Klärung der Erbbelastung ihrer Kinder konnte sie nicht herbeiführen, weil sie keine Einrichtung fand, die zu entsprechenden Untersuchungen bereit war. Grund ist ein gesetzliches Verbot von Gentests an Minderjährigen. Sie sind nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn die Kinder oder Jugendlichen bereits Symptome einer Krankheit haben.

Mit ihrer Klage verlangt die Mutter ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 15.000 Euro sowie den Ersatz aller bisherigen und künftigen Schäden. Der Arzt habe ihr nicht einfach von der Erkrankung ihres Ex-Mannes erzählen dürfen. Zumindest habe er damit bis zur Volljährigkeit der Kinder warten müssen.

Nach gegenläufigen Urteilen in den Instanzen wies der BGH die Klage nun ab. Die Erkrankung der Mutter sei dem Arzt „haftungsrechtlich nicht zuzurechnen“. Die gesetzliche Schadenersatzpflicht für eine fahrlässige oder vorsätzliche „Gesundheitsverletzung“ greife hier nicht ein.

„Dass eine schwerwiegende – möglicherweise auch für die Gesundheit der gemeinsamen Kinder relevante – Krankheit eines Elternteils erkannt und dem anderen Elternteil bekannt wird, ist ein Schicksal, das Eltern jederzeit widerfahren kann“, heißt es in dem Karlsruher Urteil. Dies gehöre „zu den allgemeinen Lebensrisiken“. Die Schadenersatzpflicht im Falle einer Gesundheitsverletzung sei zum Schutz vor solchen Gefahren nicht gedacht.

Zudem sei davon auszugehen, dass die Ex-Frau und die gemeinsamen Kinder ohnehin von der Krankheit erfahren hätten. Denn der Mann sei offen mit seiner Erkrankung umgegangen und habe bereits erste deutliche Symptome gezeigt.

Auf ein „Recht auf Nichtwissen“ könne sich die Mutter nicht berufen. Dies umfasse lediglich ein „Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung“. Hier sei es aber um die Kinder gegangen. Der BGH konnte daher offen lassen, ob das „Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung“ bereits durch Hinweise auf mögliche Erbkrankheiten verletzt werden kann.

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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