Luxemburg (jur). EU-Staaten müssen die Aufrechterhaltung des Familienverbands von anerkannten Flüchtlingen achten. Will ein als Flüchtling anerkannter Vater zu seinem in einen anderen EU-Mitgliedstaat lebendes minderjähriges und ebenfalls unter Schutz genommenes Kind ziehen, darf sein erneuter, dort gestellter Asylantrag zwar als unzulässig abgelehnt werden, urteilte am Dienstag, 22. Februar 2022, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg (Az.: C-483/20). Dem Vater stehe dann aber zur Achtung des Familienlebens und zur Aufrechterhaltung des Familienverbandes regelmäßig ein Aufenthaltsrecht zu.
Im Streitfall ging es um einen syrischen Vater, der 2015 in Österreich als Flüchtling anerkannt wurde. Seine beiden Töchter, eine davon war minderjährig, hatte es dagegen im Zuge ihrer Flucht nach Belgien verschlagen. Dort wurde ihnen im Dezember 2016 subsidiärer Schutz gewährt. Der Vater reiste zu ihnen nach Belgien, ohne dort über ein Aufenthaltsrecht zu verfügen. 2018 stellte er, diesmal bei den belgischen Behörden, erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. So wollte er bei seinen Kindern bleiben.
Die zuständigen Behörden lehnten den Antrag als unzulässig ab. Der Vater habe bereits in Österreich Flüchtlingsschutz erhalten.
Dieser zog daraufhin vor Gericht. Der Vater sah in den ablehnenden Bescheid sein in der EU-Grundrechte-Charta verankertes Recht auf Achtung des Familienlebens und die darin vorgesehene Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls verletzt. Der Antrag auf Flüchtlingsschutz hätte daher nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen.
Der EuGH urteilte, dass ein EU-Mitgliedstaat von seiner Befugnis Gebrauch machen könne, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn der Antragsteller bereits in einem anderen EU-Staat als Flüchtling anerkannt worden sei. Sei der Antragsteller Vater eines unbegleiteten, minderjährigen Kindes, welches in einem anderen EU-Mitgliedstaat subsidiären Schutz gefunden hat, könne ihm aber dort ein Aufenthaltsrecht zustehen.
Denn die sogenannte Anerkennungsrichtlinie der EU gebe den EU-Staaten auf, „für die Aufrechterhaltung des Familienverbands Sorge zu tragen“. Dazu gehöre unter anderem die Gewährung eines Aufenthaltsrechts.
Hierfür müssten drei Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müsse es sich um einen Familienangehörigen handeln. Dieser dürfe ferner in dem Staat, in dem er den Antrag stellt, nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes erfüllen. Schließlich dürfe bei ihm kein Anspruch auf weitergehende Rechte bestehen als die, die er mit seinem Antrag einfordert, so der EuGH.
Im konkreten Fall erfülle wohl der syrische Vater, vorbehaltlich der Überprüfung des vorlegenden Gerichts, alle drei Voraussetzungen, so dass ihm ein Aufenthaltsrecht zu gewähren wäre, betonte der EuGH.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock