Migrationsrecht

Aufenthaltsrecht wegen Aufrechterhaltung des Familienverbands

Zuletzt bearbeitet am: 12.01.2024

Luxemburg (jur). EU-Staaten müssen die Aufrechterhaltung des Familienverbands von anerkannten Flüchtlingen achten. Will ein als Flüchtling anerkannter Vater zu seinem in einen anderen EU-Mitgliedstaat lebendes minderjähriges und ebenfalls unter Schutz genommenes Kind ziehen, darf sein erneuter, dort gestellter Asylantrag zwar als unzulässig abgelehnt werden, urteilte am Dienstag, 22. Februar 2022, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg (Az.: C-483/20). Dem Vater stehe dann aber zur Achtung des Familienlebens und zur Aufrechterhaltung des Familienverbandes regelmäßig ein Aufenthaltsrecht zu.

Im Streitfall ging es um einen syrischen Vater, der 2015 in Österreich als Flüchtling anerkannt wurde. Seine beiden Töchter, eine davon war minderjährig, hatte es dagegen im Zuge ihrer Flucht nach Belgien verschlagen. Dort wurde ihnen im Dezember 2016 subsidiärer Schutz gewährt. Der Vater reiste zu ihnen nach Belgien, ohne dort über ein Aufenthaltsrecht zu verfügen. 2018 stellte er, diesmal bei den belgischen Behörden, erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. So wollte er bei seinen Kindern bleiben.

Die zuständigen Behörden lehnten den Antrag als unzulässig ab. Der Vater habe bereits in Österreich Flüchtlingsschutz erhalten.

Dieser zog daraufhin vor Gericht. Der Vater sah in den ablehnenden Bescheid sein in der EU-Grundrechte-Charta verankertes Recht auf Achtung des Familienlebens und die darin vorgesehene Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls verletzt. Der Antrag auf Flüchtlingsschutz hätte daher nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen.

Der EuGH urteilte, dass ein EU-Mitgliedstaat von seiner Befugnis Gebrauch machen könne, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn der Antragsteller bereits in einem anderen EU-Staat als Flüchtling anerkannt worden sei. Sei der Antragsteller Vater eines unbegleiteten, minderjährigen Kindes, welches in einem anderen EU-Mitgliedstaat subsidiären Schutz gefunden hat, könne ihm aber dort ein Aufenthaltsrecht zustehen.

Denn die sogenannte Anerkennungsrichtlinie der EU gebe den EU-Staaten auf, „für die Aufrechterhaltung des Familienverbands Sorge zu tragen“. Dazu gehöre unter anderem die Gewährung eines Aufenthaltsrechts.

Hierfür müssten drei Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen müsse es sich um einen Familienangehörigen handeln. Dieser dürfe ferner in dem Staat, in dem er den Antrag stellt, nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes erfüllen. Schließlich dürfe bei ihm kein Anspruch auf weitergehende Rechte bestehen als die, die er mit seinem Antrag einfordert, so der EuGH.

Im konkreten Fall erfülle wohl der syrische Vater, vorbehaltlich der Überprüfung des vorlegenden Gerichts, alle drei Voraussetzungen, so dass ihm ein Aufenthaltsrecht zu gewähren wäre, betonte der EuGH.

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

Symbolgrafik:© magele picture - stock.adobe.com

Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor





Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Migrationsrecht Kopftuchverweigerung noch kein Asylgrund für Iranerinnen

Schleswig (jur). Allein die Weigerung, ein Kopftuch zu tragen, führt für Frauen aus dem Iran noch nicht zu einem Anspruch auf Asyl. Dieser besteht nur, wenn „westliche“ Werte und Lebensstil als „identitätsprägendes Bekenntnis“ der Frau angesehen werden können, entschied das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Schleswig in zwei am Montag bekanntgegebenen Urteilen (Az.: 2 LB 8/22 und 2 LB 9/22). Angehörige der Ahwazi sind nach einem weiteren Urteil im Iran keiner Gruppenverfolgung ausgesetzt, Menschenrechtler dieser Gruppe können aber Anspruch auf Asyl haben (Az.: 2 LB 7/22).  Die zwei klagenden Frauen hatten beide argumentiert, dass sie ... weiter lesen

Migrationsrecht Terrorunterstützer können sich nicht auf Schutz der Familie berufen

Kassel (jur). Das Interesse an Sicherheit und dem Kampf gegen Terrorismus wiegt schwerer als der Schutz der Familie. Auch ein Familienvater kann daher abgeschoben werden, wenn er einer Organisation angehört, die den Terrorismus unterstützt, entschied der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel in einem am Montag, 18. Dezember 2023, bekanntgegebenen Eilbeschluss (Az.: 7 B 968/23).  Der VGH billigte damit die Abschiebung eines in Nordhessen lebenden Kurden. Er ist Familienvater und nach den Feststellungen von Behörden und Gerichten Mitglied einer PKK-nahen Organisation, die den Terrorismus unterstützt. Das Regierungspräsidium Kassel hatte ihm deshalb die ... weiter lesen

Migrationsrecht Bei Tod von anerkanntem Flüchtling erlischt Familienasyl

Leipzig (jur). Stirbt ein anerkannter Flüchtling, erlischt das Familienasyl von Angehörigen. Können Familienangehörige nicht aus anderen Gründen Schutz erlangen, kann eine Abschiebung drohen, entschied das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in einem am Donnerstag, 9. November 2023, zugestellten Urteil (Az.: 1 C 35.22). Familienmitglieder des Verstorbenen könnten nicht die Rechtsposition von dessen Flüchtlingsanerkennung „erben“. Damit ende aber nicht automatisch auch die Aufenthaltserlaubnis, betonten die obersten Verwaltungsrichter.  Die aus Eritrea stammende, mittlerweile 73-jährige Klägerin hatte vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ... weiter lesen

Migrationsrecht Schulabgangszeugnis kein Grund für Aufenthaltserlaubnis

Saarbrücken (jur). Geduldete Jugendliche oder junge, volljährige Ausländer können nur während eines mindestens dreijährigen erfolgreichen Schulbesuchs oder nach Erhalt eines anerkannten Schulabschlusses eine Aufenthaltserlaubnis erteilt bekommen. Allein ein Abgangszeugnis, welches nur die Erfüllung der Schulpflicht belegt, reicht nicht aus, entschied das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes in Saarbrücken in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss vom 30. Juni 2023 (Az.: 2 B 55/23).   Im konkreten Fall ging es um einen aus Nordmazedonien stammenden Antragsteller, der im Juli 2018 im Alter von 15 Jahren zusammen mit seiner schwangeren Mutter und seiner ... weiter lesen

Ihre Spezialisten