Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 27. März 2025 grundlegende Fragen zur Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und zur Pflichtmeldung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX entschieden. Im Zentrum stand die Klage eines schwerbehinderten Bewerbers auf Entschädigung wegen vermeintlicher Diskriminierung. Streitpunkt war die unterlassene Meldung der ausgeschriebenen Stelle an die Agentur für Arbeit durch den Arbeitgeber.
Sachverhalt: Bewerbung schwerbehinderter Bewerber zu spät, Stelle bereits vergeben
Im konkreten Fall bewarb sich eine schwerbehinderte Person auf eine bereits ausgeschriebene Stelle. Der Arbeitgeber hatte die Position jedoch bereits vor Eingang der Bewerbung vergeben. Darüber hinaus hatte er es versäumt, die Stelle bei der Agentur für Arbeit zu melden – ein Vorgang, der laut § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX zwingend vorgesehen ist.
Der Bewerber argumentierte, die unterlassene Meldung sei ein Indiz für Diskriminierung im Sinne des § 22 AGG. Das BAG verneinte dies und wies die Klage ab.
Voraussetzungen für Diskriminierungsklage: Zentrale Erwägungen des BAG
Das BAG (Az. 8 AZR 123/24) bestätigte zwar die Pflichtverletzung des Arbeitgebers, sah darin jedoch kein ausreichendes Indiz für eine Diskriminierung. Ausschlaggebend waren folgende Gesichtspunkte:
- Ein Verstoß gegen die Meldepflicht ist lediglich ein Indiz und kein Beweis für eine Benachteiligung.
- Der Arbeitgeber konnte schlüssig darlegen, dass die Entscheidung über die Stellenbesetzung bereits vor Eingang der Bewerbung gefallen war.
- Die gesetzliche Vermutung nach § 22 AGG konnte durch dokumentierte Abläufe im Auswahlverfahren entkräftet werden.
Relevanz für die arbeitsrechtliche Praxis
Das Urteil hat praktische Konsequenzen sowohl für Unternehmen als auch Arbeitnehmer:
Für Arbeitgeber:
- Die Pflicht zur frühzeitigen Meldung offener Stellen an die Agentur für Arbeit bei Eignung für schwerbehinderte Menschen bleibt bestehen.
- Die Dokumentation des zeitlichen Ablaufs im Bewerbungsverfahren ist unabdingbar erforderlich.
- Eine ordentliche Nachweisführung kann helfen, Diskriminierungsvorwürfe effektiv zu entkräften.
Für Bewerber:
- Die rechtzeitige Bewerbung ist entscheidend, um in das Auswahlverfahren einbezogen zu werden.
- Das Fehlen eines Vermittlungsauftrags allein genügt nicht als Beweis für eine Diskriminierung.
- Kenntnisse über Rechte und Verfahren nach dem AGG sind für die Durchsetzung möglicher Ansprüche unerlässlich.
Tipp zur Verbesserung des Bewerbungsverfahrens: Arbeitgeber sollten nicht nur die Auswahlverfahren und ihre Dokumentation transparent gestalten, sondern auch eine regelmäßige interne Schulung für Führungskräfte und Personalverantwortliche einführen. Der Fokus sollte dabei auf den rechtlichen Anforderungen, wie dem Diskriminierungsverbot nach dem AGG und den besonderen Schutzpflichten gemäß SGB IX, sowie auf der korrekten Beweislastverteilung liegen. Solche Schulungen können dazu beitragen, unbewusste Vorurteile zu erkennen und zu minimieren, wodurch nicht nur rechtliche Risiken reduziert, sondern auch eine nachhaltige Kultur der Fairness und Gleichbehandlung gefördert wird.
Diskriminierungsverbot und Einordnung in die Arbeitswelt
Das Urteil stellt eine anschauliche Fallkonstellation dar, in der mehrere Rechtsbereiche zusammenwirken: das Diskriminierungsverbot nach dem AGG, die besonderen Schutzpflichten nach dem SGB IX und die arbeitsgerichtliche Beweislastverteilung. Es zeigt, dass eine juristische Argumentation nicht nur formale Verstöße berücksichtigt, sondern stets auf deren tatsächliche Auswirkungen abstellt. Die Kausalität zwischen Pflichtverstoß und Benachteiligung bleibt entscheidend.
Zusammenfassung
Das Urteil verdeutlicht: Ein bloßer formeller Verstoß – wie die unterlassene Meldung an die Agentur für Arbeit – führt nicht automatisch zur Entschädigungspflicht. Vielmehr kommt es auf die Umstände des Einzelfalls und eine nachvollziehbare Beweisführung an. Arbeitgeber sind gut beraten, ihre Auswahlverfahren transparent zu gestalten und sorgfältig zu dokumentieren. Bewerber wiederum sollten frühzeitig aktiv werden und sich ihrer Rechte bewusst sein.
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