Mit Beschluss vom 9. September 2025 (Az. 5 AZN 142/25) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) die seit Langem umstrittene Frage der richterlichen Nachberatung präzisiert und dabei die Telefonkonferenz als zulässige Form der Beratung bestätigt. Das Gericht stellte klar, dass die Einführung der Videokonferenztechnik durch das Gesetz vom 19. Juli 2024 (BGBl. I Nr. 222) die bisherige Praxis nicht verdrängt. Betont wird die unbedingte Notwendigkeit der vollständigen Besetzung des Spruchkörpers.
Kernaussage der Entscheidung
Auch nach der Neufassung von § 193 Abs. 1 GVG und dem neuen § 9 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ArbGG (seit 19. Juli 2024) dürfen Gericht und Richter – sofern alle zustimmen – nachträgliche Beratungen und Abstimmungen über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auch telefonisch durchführen, wenn das Urteil zwar bereits beraten und abgestimmt, aber noch nicht verkündet wurde.
Conclusio: Telefonkonferenz bleibt zulässig
Seit dem 19. Juli 2024 erlaubt das „Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik“ elektronische Beratungen von Gerichten: Nach § 193 Abs. 1 GVG dürfen Beratung und Abstimmung mit Zustimmung aller Richter per Bild- und Tonübertragung erfolgen, sofern das Beratungsgeheimnis gewahrt bleibt. § 9 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 ArbGG stellt klar, dass dies nicht für die erstmalige gemeinsame Beratung mit ehrenamtlichen Richtern gilt. Bereits zuvor hatte das BAG (Urt. v. 14.04.2015 – 1 AZR 223/14) Nachberatungen per Telefonkonferenz für zulässig erklärt.
Das Gericht wahrt damit die Flexibilität der Justiz, indem es bewährte Kommunikationsformen beibehält und zugleich den modernen Digitalisierungsrahmen integriert.
Voraussetzungen für Telefonkonferenzen
Das BAG stellt klare Anforderungen für die Durchführung von Nachberatungen per Telefonkonferenz auf:
- Einverständnis aller Richter: Alle beteiligten Richter müssen mit der telefonischen Beratung einverstanden sein. Diese Zustimmung ist unverzichtbare Voraussetzung.
- Möglichkeit zur Präsenzberatung: Es muss sichergestellt sein, dass jederzeit in eine mündliche Beratung im Beisein aller Richter eingetreten werden kann, falls ein Richter dies wünscht oder ein neuer Gesichtspunkt es erfordert.
- Technische Anforderungen: Die Telefonkonferenz muss so durchgeführt werden, dass alle Teilnehmer gleichzeitig miteinander kommunizieren können und jeder die gesamte Kommunikation mithört.
Strenge Anforderungen an die Gerichtsbesetzung
Der Beschluss betont erneut die zwingende Beteiligung aller Richter – auch der ehrenamtlichen – bei der Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bis zur Urteilsverkündung. Fehlt ihre Mitwirkung, liegt ein absoluter Revisionsgrund (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG i.V.m. § 547 Nr. 1 ZPO) und ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG vor, der zur Aufhebung des Urteils führt. Im konkreten Fall hätte das Gericht wegen der Abwesenheit eines ehrenamtlichen Richters alternative Teilnahmeformen oder eine Terminverschiebung prüfen müssen.
Konsequenzen für die Prozesspraxis
Der Beschluss ist ein Weckruf für Verfahrensbeteiligte: Die Einhaltung der formellen Anforderungen an die Gerichtsbesetzung ist kein Formalismus, sondern elementarer Bestandteil des rechtlichen Gehörs und der richterlichen Legitimation.
Für Prozessvertreter ergeben sich daraus konkrete Handlungsempfehlungen:
- Nachgereichte Schriftsätze nach Schluss der mündlichen Verhandlung können eine Nachberatung erzwingen. Ihre gezielte Einreichung sollte strategisch bedacht werden.
- Akteneinsicht kann aufschlussreich sein, um Vermerke zur Zusammensetzung des Spruchkörpers bei Nachberatungen zu prüfen.
- Besetzungsrügen sind bei Zweifeln an der Mitwirkung aller Richter frühzeitig und konsequent zu erheben. Sie führen bei Erfolg zur unmittelbaren Aufhebung des Urteils, ohne dass eine Kausalitätsprüfung erforderlich wäre.
Tipp: Für die anwaltliche Praxis bedeutet dies, die ordnungsgemäße Gerichtsbesetzung aktiv zu überwachen und mögliche Abweichungen sorgfältig zu dokumentieren. Ein vermeintlich kleiner Verfahrensfehler kann sonst einen materiell-rechtlichen Erfolg zunichtemachen.
Zusammenfassung
Das BAG hat die Zulässigkeit der Nachberatung per Telefonkonferenz ausdrücklich bestätigt und sie als gleichwertige Option neben der Videokonferenz etabliert. Entscheidend bleibt jedoch die vollständige Besetzung des Spruchkörpers: Eine nur vorübergehende Verhinderung eines Richters rechtfertigt keinen Ausschluss von der Beratung.
Symbolgrafik:© Dan Race - stock.adobe.com









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