Verwaltungsrecht

Beim VW-Diesel-Software-Update liegt unzulässige Abschalteinrichtung vor

Zuletzt bearbeitet am: 22.02.2023

Schleswig. Auch nach dem Software-Update durfte das Kraftfahrt-Bundesamt die Freigabe für verschiedene VW-Modelle mit dem abgasmanipulierten Dieselmotor EA 189 nicht erteilen. Bei dem zusammen mit dem Update aufgespielten Thermofenster handelt es sich um eine „unzulässige Abschalteinrichtung“, wie das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht Schleswig in einem am 21. Februar 2023 bekanntgegebenen -noch nicht rechtskräftigen- Urteil entschieden hat (Az.: 3 A 113/ 18). Der Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen das Kraftfahrt-Bundesamt wurde damit weitgehend stattgegeben.

Die installierte Software regelt die Abgasrückführung in den Verbrenner und verbessert so die Abgasreinigung. Die Abgasrückführung ist jedoch temperaturabhängig. Sie liegt bei minus neun Grad bei null, erst ab 15 Grad liegt sie bei 100 Prozent. Bei Außentemperaturen über 33 Grad wird die Abgasreinigung dann wieder reduziert. Gleiches gilt für Straßen oberhalb von 1.000 Höhenmetern. Nach Feststellungen des Verwaltungsgerichts gibt es auch eine „Taxi-Schaltung“, die die Abgasreinigung nach 15 Minuten reduziert.

Das Thermofenster wurde von der Klägerin als unzulässige Abschalteinrichtung angesehen.

Die Klägerin DUH wies auf die Durchschnittstemperatur in Deutschland im Jahr 2018 hin, die bei 10,4 Grad lag. Bei dieser Temperatur betrage die Rückführungsrate 85 Prozent. Dies sei unzureichend. Das Thermofenster sei deshalb eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Klage beschränkt sich auf bestimmte Varianten des VW Golf Plus TDI mit dem Motor EA 189.

Das Kraftfahrt-Bundesamt war der Meinung, dass die DUH keine Klagebefugnis habe. Zudem entspreche das durch das VW-Software-Update implementierten Thermofenster dem EU-Recht.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 8. November 2022 nach Anruf durch das Verwaltungsgericht Schleswig entschieden, dass die DUH klagebefugt ist (Urteil vom 08. November 2022, Az.: C- 873/19). Darüber hinaus wurde durch die Richter in Luxemburg ein früheres Urteil bekräftigt, dass ein Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung ist, wenn es die Abluftreinigung über einen großen Teil des Jahres reduziert (Urteil vom 14. Juli 2022, Az.: C-134/20 und weitere). Danach ist der Einsatz eines Thermofensters zur Reduzierung der Abgasreinigung nur zulässig, wenn dies zur Vermeidung einer schweren Gefährdung des Motors und für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs erforderlich ist.

Für den Motor hatte Volkswagen keine Gefahren dargelegt.

Das Verwaltungsgericht Schleswig sah jedoch keine solche Gefahr. Volkswagen habe nur Probleme mit anderen Komponenten dargelegt, nicht mit dem Motor. Auch ohne Thermofenster bestehe kein Risiko für den sicheren Betrieb.

„Dieses Urteil hat grundlegende Wirkung, denn es ist direkt übertragbar auf alle anderen Fahrzeuge mit temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen. Wir fordern das Kraftfahrt-Bundesamt deshalb auf, die betroffenen Pkw aller Hersteller zurückzurufen und nachrüsten zu lassen. Andernfalls werden wir in allen Fällen Klage erheben", sagte Remo Klinger, Rechtsanwalt der DUH in der Klage gegen Volkswagen.

Aufgrund seiner grundsätzlichen Bedeutung hat das Verwaltungsgericht sowohl die Berufung beim Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein als auch die sogenannte Sprungrevision direkt beim Bundesverwaltungsgericht Leipzig zugelassen.

Vom Kraftfahrt-Bundesamt können keine bestimmten Maßnahmen verlangt werden.

Schließt sich das Bundesverwaltungsgericht der Einschätzung des Verwaltungsgerichts Schleswig an, müsse das Kraftfahrt-Bundesamt „geeignete Maßnahmen“ treffen, damit ein rechtmäßiger Zustand hergestellt wird. Allerdings kann die DUH laut dem Verwaltungsgericht Schleswig bestimmte Maßnahmen vom Kraftfahrtbundesamt nicht verlangen.

Die DUH wertete die Entscheidung dennoch als Durchbruch. „Dieses Urteil hat grundlegende Wirkung, denn es ist direkt übertragbar auf alle anderen Fahrzeuge mit temperaturgesteuerten Abschalteinrichtungen. Wir fordern das Kraftfahrt-Bundesamt deshalb auf, die betroffenen Pkw aller Hersteller zurückzurufen und nachrüsten zu lassen. Andernfalls werden wir in allen Fällen Klage erheben", erklärte der Anwalt Remo Klinger in Berlin, der die DUH im Verfahren gegen Volkswagen vertrat.

Quelle: © Fachanwalt.de

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