Versicherer kündigen regelmäßig zum Jahresende bevorstehende und oftmals erhebliche Beitragserhöhungen an. Über die Jahre führen diese Prämienanpassungen zu teils massiven Beitragssteigerungen in der privaten Krankenversicherung. Diese Anpassungen waren Gegenstand mehrerer Verfahren, die für Versicherungsnehmer von erheblicher Bedeutung sein können.
Warum können Beitragserhöhungen unwirksam sein?
Versicherer können ihre Beiträge nicht beliebig erhöhen. Es sind strenge Voraussetzungen zu erfüllen. Erforderlich ist u.a., dass eine gravierende Veränderung der maßgeblichen Rechnungsgrundlage vorliegt, welche sich auf die Prämienkalkulation auswirkt. Der Versicherungsnehmer ist über diese maßgeblichen Gründe zu informieren (Begründungserfordernis). Gesetzlich nicht geregelt ist jedoch, was unter der „Mitteilung der maßgeblichen Gründe“ zu verstehen ist und welche Angaben diese im Einzelnen enthalten muss. Einigkeit besteht darin, dass die Mitteilung die Umstände benennen muss, die die Neufestsetzung der Prämie inhaltlich rechtfertigen. Die Gerichte sind jedoch hinsichtlich der Frage, in welcher Ausführlichkeit dies zu geschehen hat, unterschiedlicher Auffassung.
Was geschieht bei einer unwirksamen Beitragserhöhung?
Wurde die Erhöhung nicht wirksam begründet, können Versicherungsnehmer die insofern ohne Rechtsgrund geleistete Beitragserhöhung plus Zinsen zurückfordern. Es können demnach sämtliche Beitragserhöhungen zumindest für die vergangenen drei Jahre zurückgefordert werden.
Kann der Versicherer eine Begründung nachreichen?
Nach Auffassung des OLG Köln wird eine unwirksame Beitragserhöhung allein durch eine ordnungsgemäß begründete Prämienerhöhung eines Folgejahres nicht geheilt, da sich die Begründung immer nur auf die jeweilige Prämienerhöhung beziehe. Eine rückwirkende Heilung scheide ebenso aus wie ein Ausgleich durch eine nachfolgende, höher ausfallende, Prämie. Durch eine spätere Übersendung einer korrekten Begründung zu der jeweiligen Erhöhung werde diese jedoch wirksam.
Welche Beitragserhöhungen waren unwirksam?
Es werden nicht bei allen veröffentlichen Entscheidungen auch die zugrunde liegenden Tarife der Versicherer benannt. Aktuell sind insbesondere zwei oberlandesgerichtliche Entscheidungen:
OLG Köln, Urteil vom 28.01.2020, Az. 9 U 138/19 (AXA)
Beitragserhöhungen im Tarif EL Bonus zum 01.01.2014 und 01.01.2015 sowie die des Tarifs Vital-Z-N zum 01.01.2014.
OLG Köln, Urteil vom 29.10.2019, Az. 9 U 127/18 (AXA)
Beitragserhöhungen im Tarif ECORA 1300 zum 01.01.2015 und zum 01.01.2016 sowie die Beitragserhöhung für die zahnärztliche Heilbehandlung im Tarif 541 zum 01.01.2015.
LG Frankfurt, Urteil vom 16.04.2020, Az. 2-23 O 198-19 (Barmenia)
Beitragserhöhung im Tarif VC3P mit GZN10 zum 01.01.2010, 01.01.2011, 01.01.2012 und zum 01.01.2016 sowie die im Tarif KT42 zum 01.01.2011, 01.01.2012 und 01.01.2018.
LG Neuruppin, Urteil vom 25.08.2017, Az. 1 O 338/16 (AXA)
Beitragserhöhung im Tarif Vital 250 zum 01.01.2010, zum 01.01.2012 und zum 01.01.2016, die Beitragserhöhung im Tarif Z Pro zum 01.01.2010 sowie die in dem Tarif TV42 (KT) zum 01.01.2012 und zum 01.01.2013.
Zudem lagen den Verfahren nur die jeweiligen Tarife bestimmter Jahre der genannten Versicherer zugrunde. Auf andere Tarife, Jahre bzw. Tarife anderer Versicherer sind die Entscheidungen nicht ungeprüft zu übertragen. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass auch bei anderen Tarifen / Jahren / Versicherern jedenfalls die in den genannten Urteilen des OLG Köln aufgestellten Begründungsanforderungen nicht immer erfüllt worden sind.
Welche Erhöhungsbeiträge sind bereits verjährt?
Mit der Geltendmachung der Einrede der Verjährung durch die Versicherer ist zu rechnen. Nicht verjährt wären (dem OLG Köln zufolge) aktuell ab dem 01.01.2017 gezahlte Erhöhungsbeiträge. Unwirksame Beitragserhöhungen aus den Vorjahren wären ebenfalls zu berücksichtigen, jedoch nur, soweit sie ab dem Jahr 2017 Bestandteil des monatlichen Beitrags gewesen sind.
Rechenbeispiel:
Der monatliche Beitrag im Tarif XY in Höhe von 400,00 EUR ist in dem Zeitraum 2015 bis 2017 jährlich um jeweils 40,00 EUR/Monat gestiegen und die drei Begründungen zur jeweils anstehenden Beitragserhöhung unwirksam. in dem Zeitraum 2018 bis 2020 hingegen waren die Beiträge stabil. Eine korrekte Begründung wird auch auf Anforderung nicht nachgereicht. Die Klage vor dem Landgericht wird noch im Dezember 2020 erhoben. Bei Klagerhebung beläuft sich der Rückfoderungsanspruch auf 4.800,00 EUR.
Dieser berechnet sich wie folgt:
12 Monate x 40,00 EUR x 4 Jahre (Zeitraum 01.01.2017-31.12.2020) x 3
(Beitragserhöhungen) = 5.760,00 EUR
Die in den Jahren 2015 und 2016 gezahlten Erhöhungen wären hingegen bereits verjährt. Die Beitragserhöhungen werden jedoch berücksichtigt, soweit sie nach dem 01.01.2017 gezahlt worden sind.
Sind die Urteile rechtskräftig?
Nein, die Urteile sind nicht rechtskräftig.
Welche Fristen sind zu beachten?
Unter Zugrundelegung der genannten Urteile des OLG Köln verjähren mit Ablauf des 31.12.2020 Rückforderungsansprüche aus dem Zeitraum 01.01. bis 31.12.2017.
Sind die Urteile rechtskräftig?
Derzeit nicht. Die AXA hat gegen die Urteile des OLG Köln Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt und das OLG Frankfurt hat über die Berufung der Barmenia zu entscheiden.
Ist es ratsam, schon jetzt gegen Beitragserhöhungen vorzugehen?
Unter Zugrundelegung der Auffassungen der o.g. Gerichte verjähren mit Ablauf des 31.12.2020 alle Rückforderungsansprüche für Beitragserhöhungen, soweit sie nach dem 01.01.2017 gezahlt wurden. Soweit in diesen Prämien unwirksame Beitragserhöhung aus früheren Jahren (z.B. aus 2015) enthalten sind, können auch diese zurückgefordert werden. Entscheidend ist somit, dass sie in nicht verjährter Zeit gezahlt wurden.
Damit Ansprüche nicht verjähren, sollten daher bis Ende des Jahres verjährungshemmende Maßnahmen eingeleitet werden. Dies kann in Form einer Vereinbarung mit dem Versicherer (Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung) oder durch Klageerhebung erfolgen.
Welche Vorgehensweise ist sinnvoll?
Zunächst sollte geprüft werden, ob die Begründungsschreiben zu den Beitragserhöhungen noch vollständig vorliegen. Ist dies nicht der Fall, müssten diese bei dem Versicherer angefordert werden. Daher sollte hinreichend Zeit eingeplant werden. Sodann ist unter Beachtung der von den Gerichten aufgestellten Maßstäbe zu prüfen, ob ein Rückforderungsanspruch in Betracht kommt. Ist dies der Fall, sollte der Versicherer zunächst außergerichtlich unter Fristsetzung zur Rückzahlung auffordert werden.
Kompetenz im Versicherungsrecht
Aufgrund meiner Erfahrung und langjährigen Tätigkeit als Fachanwältin für Versicherungsrecht auf Seiten der Versicherungsnehmer stehe ich Ihnen bundesweit für eine fachkundige Überprüfung und Durchsetzung Ihrer Leistungsansprüche gern zur Seite.