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BGH zum Mitverschulden beim Fahrradsturz

17.07.2020 Verkehrsrecht

Der BGH hatte mit Urteil vom 23.4.2020 – III ZR 251/17 über einen Fahrradunfall zu entscheiden. Der Kläger war mit seinem Mountainbike mittels einer Kartenapp auf einen Feldweg geraten, der in eine „Sackgasse für Kraftfahrzeugfahrer“ mündete, an welcher das Verbotsschild „Verbot für Kraftfahrzeuge“ aufgestellt war. Der Feldweg war für die Nutzung durch Radfahrer zugelassen.

En Jagdpächter hatte dort zum Schutz des Wildes eine Absperrung aufgestellt, die aus zwei Holzpfosten und zwei dazwischen eingespannten waagerecht verlaufenden Stacheldrähten bestand.

Der Kläger bemerkte den Stacheldraht noch und leitete eine Vollbremsung ein, kam dabei aber zum Sturz. Er stürzte Kopfüber über den Stacheldraht. Der Sturz endete für den Kläger tragisch. Er trug eine Querschnittslähmung davon und ist seit dem Sturz pflegebedürftig. Seine Klage richtete sich gegen die Jagdpächter und die zuständige Gemeinde.

In erster Instanz wurde die Klage vom LG Lübeck abgewiesen. Mit der Berufung hatte der Kläger teilweise Erfolg. Ihm wurden vom OLG Schleswig 25 % seiner Forderungen zugesprochen. DAs OLG Schleswig sah also die weit überwiegende Verantwortlichkeit beim Fahrradfahrer.

Gegen das Urteil des OLG Schleswig legte der Kläger Revision ein.

Der Bundesgerichtshof hat zunächst klargestellt, dass sowohl die Gemeinde als auch die Jagdpächter aus Verletzung der Verkehrssicherheitspflicht haften. Dies vor allem, weil es sich um eine ungewöhnliche und von der Straßenverkehrsbehörde nicht genehmigte Absperrung gehandelt hat.

Wie bei fast jedem Fahrradunfall stellte sich sodann die spannende Frage, ob, wie und unter welchen Gesichtspunkten ein Mitverschulden des Fahrrades zum tragen kommt.

Der BGH bezeichnet die Erwägung des OLG Schleswig, dem Kläger sei ein 75 %-iges Mitverschulden anzulasten, als rechtsfehlerhaft. Dabei hat es zum Thema Mitverschulden eines Fahrradfahrers zu einigen grundsätzlichen Fragen Stellung genommen wie folgt:

  1. Zum Sichtfahrgebot

Das Sichtfahrgebot gilt auch für Fahrradfahrer. Es bedeutet, dass er nur so schnell fahren darf, dass er vor einem Hindernis, dass sich auf der für ihn übersehbaren Strecke befindet noch rechtzeitig anhalten kann. Das Sichtfahrgebot bezieht sich dabei auf die Fahrbahn und nicht auf neben der Fahrbahn befindliche Hindernisse.  Der Fahrradfahrer muss also die seitliche Umgebung der Fahrbahn nicht voll überblicken können. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot  ist der Augenblick, in dem ein Hindernis für den Fahrradfahrer sichtbar wird.  Das Sichtfahrgebot wird durch den Vertrauensgrundsatz beschränkt. Der Fahrradfahrer darf darauf vertrauen, dass er nicht auf Hindernisse stößt, mit denen er unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Das gilt vor allem für Hindernisse, die außergewöhnlich oder schwer erkennbar sind und auf die nichts hindeutet.

Zum konkreten Fall führt der BGH aus:

Dabei ist es auch unerheblich, ob die Stacheldrähte, wie die Beklagten behauptet haben, bereits aus einer Entfernung von mindestens zehn bis 15 m beziehungsweise aus weitaus größerer Entfernung als zehn oder elf Metern sichtbar waren. Selbst wenn dieser Vortrag der Beklagten zutreffen sollte, so handelte es sich doch um ein geradezu verkehrsfeindliches Hindernis, mit dem der Kläger nicht rechnen musste, so dass es ihm nicht zum Vorwurf  gereichen kann, wenn er dieses nicht sofort ab dem Zeitpunkt, zu dem es objektiv sichtbar wurde, tatsächlich wahrnahm. (BGH, Urt. v. 23.4.2020 – III ZR 251/17)

  1. Zum fehlerhaften Fahrverhalten

Regelmäßig werden von Gerichten, so auch der Vorinstanz im entschiedenen Fall, Fahrfehler zur Begründung eines Mitverschuldens des Fahrradfahrers ins Feld geführt, vor allem fehlerhaftes oder verspätetes Bremsen. Hierzu hat der  BGH schon in mehreren Urteilen klargestellt hat, dass eine Fehlreaktion, die auf einem Erschrecken beruht, nicht zur Begründung eines Mitverschuldens führen kann.

Die falsche Reaktion eines Verkehrsteilnehmers stellt dann keinen vorwerfbaren Obliegenheitsverstoß dar, wenn dieser in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn  nicht vorhersehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus  verständlichem Erschrecken objektiv falsch reagiert (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 2008 aaO Rn. 10 und vom 5. Oktober 2010 - VI ZR 286/09, NJW 2011, 292 Rn. 13).

  1. Zum „Klickpedal“

Bis hierhin lag der Kläger nach dem Urteil des BGH also bei 100 % zu seinen Gunsten. Das dicke Ende kommt zum Schluss:

Als Umstand, der ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Klägers gemäß § 254 Abs. 1 BGB begründen könnte, bleibt lediglich, dass er auf dem unbefestigten und unebenen Feldweg statt der "normalen" Fahrradpedale die Klickpedale nutzte. ... Insoweit merkt der Senat für das weitere Verfahren an, dass der auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen insoweit allein in Betracht zu ziehende Umstand - Verwendung von Klickpedalen auf einem "holprigen" Feldweg - allenfalls zu einer Anspruchsminderung von einem Viertel führen kann. (BGH a. a. O.)

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