Kassel (jur). Arbeitnehmer mit mehreren Jobs dürfen nach einem Arbeitsunfall keine Nachteile haben. Verletztengeld und Verletztenrente sind daher für jeden Job einzeln zu betrachten, urteilte am Donnerstag, 23. Juli 2015, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 2 U 6/14 R). Sonst entstehende Benachteiligungen seien nicht gerechtfertigt.
Nach einem Arbeitsunfall kommt die gesetzliche Unfallversicherung für die Heilbehandlung auf. Zudem ersetzen sie den ausfallenden Lohn. Dabei zahlen die Berufsgenossenschaften zunächst ein Verletztengeld. Der Anspruch darauf endet bei Wiederaufnahme der Arbeit oder wenn feststeht, dass eine Weiterbeschäftigung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sein wird.
Bleibt als Folge des Arbeitsunfalls eine volle oder teilweise Erwerbsminderung zurück, schließt sich an das Verletztengeld eine Verletztenrente an. Deren Höhe orientiert sich an der Höhe der Erwerbsminderung. Laut Gesetz gibt es keine Verletztenrente, solange noch Anspruch auf Verletztengeld besteht.
Diese Klausel legte die Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik nun gegen einen Mann aus Südbaden aus. Er arbeitet als Kraftfahrer für einen Getränkegroßhandel und verdient dort 36.770 Euro brutto pro Jahr. Nebenberuflich verdient er weitere 3.030 Euro als Spinningtrainer in einem Fitnessstudio. Im November 2010 stürzte er während seiner Haupttätigkeit und brach sich den rechten Fuß. Als Folge bleiben dauerhaft schmerzhafte Bewegungseinschränkungen zurück, die als Erwerbsminderung von 20 Prozent anerkannt wurden.
Als Spinningtrainer konnte der Mann daher nicht mehr arbeiten. Auch als Kraftfahrer war er nicht mehr einsetzbar, konnte am 30. Mai 2011 bei dem Getränkehändler aber eine andere, geringer vergütete Tätigkeit wieder aufnehmen.
Die Berufsgenossenschaft erteilte zwei Bescheide für das Verletztengeld: für die Hauptbeschäftigung bis zum 29. Mai 2011, für die Nebentätigkeit ein Jahr länger bis Ende Mai 2012. Erst danach zahlte sie eine nach den Gesamteinkünften und der Erwerbsminderung von 20 Prozent berechnete Verletztenrente, weil zuvor in der Nebentätigkeit ja noch Anspruch auf Verletztengeld bestand.
Der Arbeitnehmer forderte eine Verletztenrente bereits ab dem 30. Mai 2011. Denn bereits ab diesem Tag habe er in seiner Hauptbeschäftigung unfallbedingte Einkommenseinbußen hinnehmen müssen.
Das BSG gab ihm nun recht. Die rein wörtliche Gesetzesauslegung durch die Berufsgenossenschaft führe zu einer Benachteiligung gegenüber Arbeitnehmern mit nur einer Beschäftigung. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keine rechtfertigenden Gründe. Die Vorschrift sei daher verfassungskonform so auszulegen, dass sich der Anspruch auf Verletztenrente auf die jeweilige Beschäftigung einzeln bezieht.
Der Anspruch auf Verletztengeld für eine Beschäftigung schließe daher einen Anspruch auf Verletztenrente für eine andere Beschäftigung nicht aus, urteile das BSG. Neben dem Verletztengeld für seine Tätigkeit als Spinningtrainer habe hier der Kläger daher bereits ein Jahr früher Anspruch auf eine nach seinem Haupteinkommen berechnete Verletztenrente gehabt.
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