Sozialrecht

Bürgergeld auch ohne Postanschrift und Telefon

Zuletzt bearbeitet am: 27.09.2023

Kassel (jur). Wohnsitzlose benötigen weder eine Postanschrift, noch müssen sie telefonisch erreichbar sein, um Bürgergeld zu erhalten. Das geht aus rechtlichen Hinweisen des Bundessozialgerichts (BSG) hervor, die die Kasseler Richter zu einem am Mittwoch, 20. September 2023, geschlossenen gerichtlichen Vergleich gegeben haben (Az.: B 4 AS 12/22 R). Wenn der Obdachlose über keinerlei Kontaktmöglichkeiten verfügt, reicht es danach auch nach heutiger Rechtslage aus, dass er sich gegebenenfalls werktäglich beim Jobcenter nach Post erkundigt. 

Geklagt hatte ein Obdachloser aus Stuttgart. Briefe des Jobcenters hatte er früher bei der dortigen Kasse abgeholt. 2020 teilte das Jobcenter ihm mit, dass dies nicht mehr möglich sei. Weil die postalische Erreichbarkeit eine „Leistungsvoraussetzung“ sei, müsse er sich eine Postadresse einrichten. Dies sei bei sozialen Einrichtungen aber auch bei der Post möglich. 

Sozialgericht und Landessozialgericht hatten die Klage des Obdachlosen noch abgewiesen. Mit seiner hiergegen vom BSG zugelassenen Revision machte der Obdachlose geltend, die gesetzliche Anforderung der „Erreichbarkeit“ beziehe sich nur auf den Aufenthalt in der Nähe des zuständigen Jobcenters, nicht auf die Post. 

Das Jobcenter Stuttgart hatte seine Position allerdings vorrangig auch auf eine das Gesetz ergänzende Anordnung der Bundesagentur für Arbeit gestützt. Der Vierte BSG-Senat machte nach einer Zwischenberatung allerdings deutlich, dass er keine ausreichende rechtliche Grundlage sehe, wonach das Jobcenter eine Postanschrift verlangen konnte. 

Zudem trat am 8. August 2023 eine „Erreichbarkeitsverordnung“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Kraft und löste die frühere Anordnung der Bundesagentur ab. Mit Blick darauf schlossen die Beteiligten für ihren Streit nach altem Recht einen Vergleich. Danach zahlt das Jobcenter dem Obdachlosen für die Zeit von Mai 2020 bis August 2023 unter teilweiser Anrechnung von Einkünften aus einem Minijob 13.000 Euro nach. 

Nach der nun geltenden Erreichbarkeitsverordnung wird die Erreichbarkeit Wohnsitzloser angenommen, wenn sie ihr Jobcenter „einmal pro Leistungsmonat persönlich“ aufsuchen. Zudem müssen sie „mitteilen, auf welchem Weg eine Kontaktaufnahme möglich ist“. 

Das Problem für Wohnsitzlose, die keine Kontaktmöglichkeiten anbieten können, besteht demnach weiterhin. Aus den rechtlichen Hinweisen des BSG zu dem Altfall ergibt sich, dass Jobcenter auch heute solche Kontaktmöglichkeiten nicht verlangen können. Jedenfalls ausreichend ist es danach, wenn Wohnsitzlose werktäglich beim Jobcenter nach Post fragen. Ob die Behörde tatsächlich einen werktäglichen Besuch verlangen kann, wird allerdings wohl erst in künftigen Verfahren entschieden. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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