Verkehrsrecht

Bundesgerichtshof entscheidet über Schätzung des merkantilen Minderwerts bei Unfallfahrzeugen

08.08.2024
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Zuletzt bearbeitet am: 08.08.2024

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Urteil klargestellt, dass der merkantile Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs in jedem Fall ausgehend von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen zu schätzen ist. Diese Entscheidung betrifft sowohl die Berechnung des Schadensersatzes als auch die korrekte Berücksichtigung der Umsatzsteuer. Das Urteil vom 16. Juli 2024 - VI ZR 188/22, hebt ein Berufungsurteil auf und verweist den Fall zur neuen Verhandlung zurück.

Merkantiler Minderwert: Netto- statt Bruttoverkaufspreise

Der VI. Zivilsenat des BGH stellte klar, dass der merkantile Minderwert eines Unfallfahrzeugs unabhängig von einem tatsächlichen Verkauf als Differenz zwischen dem hypothetischen Verkaufspreis eines unfallfreien Fahrzeugs und dem eines reparierten Unfallfahrzeugs zu ermitteln ist. Dieser Wertverlust verbleibt trotz vollständiger und ordnungsgemäßer Reparatur des Fahrzeugs, da Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt in der Regel niedriger bewertet werden als unfallfreie Fahrzeuge.

Die Berechnung des merkantilen Minderwerts muss dabei stets auf Basis der Nettoverkaufspreise erfolgen. Der BGH argumentiert, dass der Ersatz des merkantilen Minderwerts nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegt, da es sich um Schadensersatz gemäß § 251 Abs. 1 BGB handelt und nicht um eine Leistung gegen Entgelt. Wenn der merkantile Minderwert vom Bruttoverkaufspreis geschätzt wird, muss ein dem Umsatzsteueranteil entsprechender Betrag vom Minderwert abgezogen werden, um eine ungerechtfertigte Bereicherung des Geschädigten zu vermeiden.

Sachverhalt und Prozessverlauf

Im zugrundeliegenden Fall war ein geleastes Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall erheblich beschädigt worden. Die volle Haftung des beklagten Haftpflichtversicherers stand außer Streit. Die Klägerin, die das Fahrzeug reparieren ließ, machte einen merkantilen Minderwert von 1.250 Euro geltend, während die Beklagte lediglich 700 Euro zahlte. Das Amtsgericht gab der Klage überwiegend statt, und das Landgericht bestätigte dieses Urteil teilweise, reduzierte jedoch den geltend gemachten Minderwert auf 1.000 Euro. Ein Sachverständigengutachten war Grundlage dieser Entscheidung, wobei das Landgericht keinen "Umsatzsteueranteil" vom Minderwert abzog.

Mit der zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihr Ziel weiter, den ihrer Ansicht nach vom Minderwert abzuziehenden "Umsatzsteueranteil" durchzusetzen. Der BGH hob daraufhin das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Begründung des BGH und zukünftige Relevanz

Der BGH betonte, dass die Schätzung des merkantilen Minderwerts aus Rechtsgründen auf Nettoverkaufspreise abzustellen ist. Sollte der hypothetische Verkauf einer Umsatzsteuer unterliegen, würde der Geschädigte zwar die darauf entfallende Umsatzsteuer zusätzlich zum Nettoverkaufspreis erhalten, müsste sie jedoch an das Finanzamt abführen. Bei einem Verkauf "von privat" darf ohnehin keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden.

Diese Entscheidung des BGH hat weitreichende Auswirkungen auf die Berechnung von Schadensersatzansprüchen bei unfallbedingten Wertminderungen von Fahrzeugen. Durch die korrekte Berücksichtigung der Umsatzsteueranteile wird sichergestellt, dass Geschädigte nicht über den tatsächlichen Schaden hinaus entschädigt werden.

Anwaltstipp zur Entscheidung

Diese Entscheidung des BGH verdeutlicht die Notwendigkeit einer präzisen Berechnung des merkantilen Minderwerts bei Unfallfahrzeugen. Betroffene sollten sicherstellen, dass bei der Schätzung des Minderwerts Nettoverkaufspreise zugrunde gelegt werden, um eine Überkompensation zu vermeiden. Für die Praxis bedeutet dies, dass Sachverständigengutachten entsprechend angepasst und geprüft werden müssen. Geschädigte und Versicherer sollten in Schadensfällen frühzeitig rechtlichen Rat einholen, um korrekte und faire Schadensersatzansprüche zu gewährleisten.

Aktenzeichen der Vorinstanzen:

  • Amtsgericht Neu-Ulm - Urteil vom 24. März 2021 - 5 C 1111/20
  • Landgericht Memmingen - Urteil vom 25. Mai 2022 - 13 S 691/21

(se)

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