„Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihr Wertpapierdepot zum 30. Juli 2025 schließen.“ Mit einem solchen Schreiben sehen sich derzeit immer mehr Anlegerinnen und Anleger konfrontiert. Für Anleger bedeutet eine Kündigung Stress: Das Depot muss kurzfristig übertragen, offene Orders geklärt und Steuerunterlagen gesichert werden.
Verzögert der Broker den gesetzlich geforderten Depotübertrag von maximal drei Wochen, können Kursverluste oder steuerliche Nachteile drohen. In volatilen Märkten fürchten Betroffene sogar unfreiwillige Notverkäufe. Doch dürfen Broker das eigentlich? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Wie sieht die Rechtslage aus und was können betroffene Anleger dagegen tun?
Rechtsgrundlagen des Depotvertrags
Der Depotvertrag ist eine Geschäftsbesorgung mit werkvertragsähnlichen Zügen (§§ 662 ff., 675 BGB). Er wird meist als Zahlungsdiensterahmenvertrag geführt, sodass § 675h BGB die für den Broker längste zulässige Kündigungsfrist von zwei Monaten (für Kunden: eigentlich sofort, bei vereinbarter Kündigungsfrist: maximal 1 Monat) statuiert. Broker dürfen zudem nur dann das Depotkonto kündigen, wenn dieses auf unbestimmte Zeit abgeschlossen wurde und das Kündigungsrecht vereinbart wurde.
Ergänzend gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Instituts (§§ 305 ff. BGB) sowie europäische Vorgaben, etwa MiFID II und die §§ 63 ff. WpHG zu Wohlverhaltens- und Informationspflichten.
Hier die Regelungen zu ordentlicher und außerordentlicher Kündigung im Überblick:
1. Ordentliche Kündigung
Bei der ordentlichen Kündigung beendet der Broker einen unbefristeten Depot- oder Zahlungsdiensterahmenvertrag ohne besonderen Anlass, muss aber die gesetzliche oder vertraglich vereinbarte Frist wahren. Maßgeblich ist § 675h BGB, der für Zahlungsdienstleister eine Mindestkündigungsfrist von mindestens zwei Monaten vorsieht; AGB-Klauseln, die darüber hinausgehen oder ein sofortiges Aussteigen ermöglichen, können wegen unangemessener Benachteiligung (§ 307 BGB) unwirksam sein.
- Form: Schrift- oder Textform nach AGB genügt.
- Frist: brokerseitig regelmäßig mindestens zwei Monate (§ 675h Abs. 1 BGB).
- Wirksamkeitskontrolle: Fristen über diesen Rahmen hinaus oder „Kündigung jederzeit, sofort wirksam“ sind nach § 307 BGB unwirksam.
2. Außerordentliche (fristlose) Kündigung
Voraussetzung für eine außerordentliche Kündigung ist ein wichtiger Grund, der das Festhalten am Vertrag unzumutbar macht (z. B. schwerwiegender Vertrauensverlust, strafbare Handlungen, beharrliche Pflichtverletzungen). Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Broker. Pauschale AGB-Formeln („Kunde verstößt gegen Pflichten“) genügen nicht. Welche rechtlichen Risiken Kunden bei der Kündigung durch einen Broker konkret erwarten, erklärt Alessia Pewnew von Aktiendepot24.net.
Hier eine Gegenüberstellung der Regelungen für die ordentliche und außerordentliche Kündigung eines Depotkontos:
Merkmal |
Ordentliche Kündigung |
Außerordentliche Kündigung |
---|---|---|
Rechtsgrundlage |
§ 675h BGB, AGB |
§ 314 BGB analog |
Frist |
2 Monate (1 Monat für die Kunden) |
Keine |
Begründungspflicht |
Nein (aber empfehlenswert) |
Ja, detaillierte Angabe nötig |
Rechtsfolgen |
Abwicklung nach Frist |
Sofortige Beendigung |
Grenzen der Kündigungsbefugnis und maßgebliche Rechtsprechung
Selbst wenn Banken und Online-Broker sich in ihren AGB ein „jederzeitiges“ Kündigungsrecht zusprechen, setzen Gerichte und Aufsichtsbehörden klare Grenzen: Klauseln dürfen Kundinnen und Kunden nicht unangemessen benachteiligen, und die Abwicklung – etwa der Depotübertrag – muss zügig, entgeltfrei und transparent erfolgen. Die folgenden Entscheidungen zeigen, wie konsequent Bundesgerichtshof (BGH) und BaFin diese Maßstäbe durchsetzen.
Beispiele aus der Rechtsprechung:
- BGH XI ZR 197/09 (13. 04. 2010) – Entgelt- und Kündigungsklauseln, die Kunden einseitig belasten, wurden für unwirksam erklärt.
- BGH XI ZR 26/20 (27. 04. 2021) – Zustimmungsfiktionen bei AGB-Änderungen sind unzulässig. Das bedeutet: Broker dürfen ihre AGB nicht einfach so ändern und bei den Kund:innen eine „stillschweigende Zustimmung“ unterstellen. Dies gilt umso mehr, wenn andernfalls der Vertrag gekündigt würde.
- BGH XI ZR 200/03 und XI ZR 49/04 – Für Depotüberträge innerhalb Deutschlands dürfen keine Gebühren erhoben werden. Dies gilt jedoch nicht für physische Übertragen wie Edelmetalle oder tatsächliche Aktienurkunden.
Pflichten des Brokers im Kündigungsfall
Mit der Zustellung einer Kündigung ist die Angelegenheit für den Broker noch längst nicht erledigt. Jetzt greifen strenge Informations-, Abwicklungs- und Sorgfaltspflichten: Der Kunde muss unverzüglich über alle Folgen informiert, sein Depot reibungslos übertragen und jeder vermeidbare Vermögensschaden abgewendet werden. Versäumnisse können Schadenersatzansprüche auslösen und Aufsichtsverfahren nach sich ziehen.
Hier die Pflichten im Detail:
1. Rechtzeitige Information
- Das Kündigungsschreiben muss dem Kunden tatsächlich zugehen.
- Das Gesetz schreibt für die Kündigung eines Depotvertrags grundsätzlich keine bestimmte Form vor. Eine bestimmte Form (z.B. Schriftform, Textform oder elektronische Form) ist nur dann einzuhalten, wenn sie ausdrücklich im Vertrag oder in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) vereinbart wurde. Im Normalfall wählen Broker als Anforderung mindestens die Textform (z.B. per Mail).
2. Begründungspflicht
- Bei außerordentlicher Kündigung muss der wichtige Grund konkret mitgeteilt werden.
- Bei ordentlicher Kündigung greifen mindestens das Transparenzgebot und die Wohlverhaltenspflichten aus Art. 63 MiFID-II-Delegierter Verordnung.
3. Abwicklungspflicht
- Der Depotübertrag sollte unverzüglich erfolgen. In der Praxis sind nach Konkretisierung der BaFin höchstens drei Wochen vorgesehen. Sollte der Broker dies nicht einhalten können, muss er spätestens 5 Werktage nach Verstreichen der Frist eine schriftliche Begründung liefern.
- Restguthaben auszahlen; offene Orders gemäß Kundenweisung ausführen oder stornieren.
4. Schadensvermeidungspflicht
- Fristen dürfen keinen vorhersehbaren Vermögensschaden provozieren (etwa Zwangsverkäufe in einem Kurseinbruch).
- Verstößt der Broker dagegen, haftet er nach § 280 BGB auf Schadensersatz.
Rechte und Handlungsoptionen der Kunden
Betroffene Anleger*innen stehen nicht wehrlos da: Schon vor Ablauf der Frist können sie prüfen, ob die Kündigung rechtmäßig ist und bei Zweifeln oder drohendem Schaden schnell aktiv werden. Vom einfachen Widerspruch bis zur gerichtlichen Geltendmachung von Schadensersatz.
Die folgenden Schritte zeigen, welche Wege offenstehen:
1. Prüfung
Kündigungsgrund, Fristen und Formerfordernisse sorgfältig kontrollieren. Liegt ein wichtiger Grund vor? Wurde die Mindestkündigungsfrist eingehalten?
2. Widerspruch
Innerhalb von zwei Wochen können Anleger:innen schriftlich beim Broker um Aufschub der Kündigung oder um eine nähere Begründung bitten. Die Aufforderung sollte idealerweise per Einschreiben erfolgen.
3. Schlichtungsstelle
Bei festgestellten Pflichtverstößen können Anleger kostenlose Verfahren beim Ombudsmann der privaten Banken oder beim Schlichtungsausschuss des Bundesverbands der öffentlichen Banken einleiten.
4. BaFin-Beschwerde
Wenn Informations-, Fristen- oder Abwicklungspflichten nicht eingehalten wurden, kann online eine Beschwerde bei der BaFin eingereicht werden.
5. Schadensersatz
Liegt durch Pflichtverletzungen ein Vermögensschaden vor (z. B. Zwangsverkauf), kann dieser auf vertraglicher Grundlage (§§ 280 ff. BGB) oder deliktisch geltend gemacht werden. Die Verjährung beträgt drei Jahre (§ 195 BGB).
6. Einstweilige Verfügung
Bei drohendem Kursnachteil oder steuerlichen Folgen kann gerichtlich eine Anordnung zur Weiterführung des Depots beantragt werden, um Notverkäufe zu verhindern.
Fazit: Anleger sollten ihre Rechte kennen
Eine Depotkündigung durch den Broker ist rechtlich zulässig, aber deutlich reguliert. Prüfen Sie Fristen, Begründung und Abwicklungsmodalitäten genau. Unzulässige Klauseln oder Pflichtverstöße eröffnen Schadensersatz- und Beschwerdewege. Wer seine Unterlagen sorgfältig sichert und Fristen im Blick behält, kann finanziellen Schaden vermeiden.
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