Karlsruhe. Als Bundeskanzlerin durfte sich Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) während einer Staatsreise nicht zur deutschen Parteipolitik äußern. Das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch, den 15.06.2022 in Karlsruhe ein Urteil verkündet, wonach Merkel mit ihrer Äußerung in Südafrika zur Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten 2020 gegen das Recht der AfD auf Chancengleichheit verstoßen hat (Az.: 2 BvE 4/20 und 2 BvE 5/20).
Am 5. Februar 2020 wurde Thomas Kemmerich (FDP) im dritten Wahlgang – vermutlich mit Stimmen von AfD und CDU – zum Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen gewählt, während sich Merkel zu einem Staatsempfang in Südafrika aufhielt. Bei einer Pressekonferenz mit dem Präsidenten von Südafrika am 6. Februar 2020 kündigte sie „aus innenpolitischen Gründen eine Vorbemerkung“ an. Anschließend sagte sie, die Abgeordneten der Thüringer CDU hätten „mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen“. Die AfD als Mehrheitsbeschafferin zu akzeptieren, sei „unverzeihlich“. Dies sei „ein schlechter Tag für die Demokratie“ gewesen.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun betont, dass Merkel in ihrer amtlichen Funktion als Bundeskanzlerin bei einer Regierungspressekonferenz gesprochen habe. Sie habe auch für ihre "Vorbemerkung" nicht erklärt, dass sie dies als Parteipolitikerin gemacht habe.
Für den öffentlichen Prozess der politischen Willensbildung sei jedoch erforderlich, dass sich staatliche Organe im politischen Wettbewerb zwischen den Parteien neutral verhalten. Ausnahmen seien nur in extremen Situationen zum Schutz der Handlungsfähigkeit und Stabilität der Bundesregierung in Betracht zu ziehen.
In ihrer Aussage habe sie die AfD negativ qualifiziert und damit einseitig auf den Parteienwettbewerb eingewirkt. Dies liege nicht im Aufgabenbereich der Bundeskanzlerin und stelle auch keine zulässige „Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung“ dar.
Anschließend seine die Erklärungen sogar auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung veröffentlicht worden. Dadurch seien die Ressourcen der Bundesregierung durch Merkel und ihre Regierung in unzulässiger Weise genutzt worden.
Damit hätten die Kanzlerin und die Regierung das Gebot der Neutralität im Amt verletzt. Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass es nicht erkennbar gewesen sei, dass dies für den Schutz der Stabilität der Bundesregierung erforderlich gewesen sei.
Die Verfassungsrichterin Astrid Wallrabestein lehnte in einem Sondervotum die Mehrheitsmeinung ab, da die Mitglieder der Bundesregierung sich automatisch in einer Doppelrolle zwischen Amt und Parteipolitik befinden würden. Auch von der Öffentlichkeit werde dies so wahrgenommen. Die Grenzen für Äußerungen der Minister und hier der Kanzlerin seien hier also nicht dermaßen eng zu ziehen.
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