Karlsruhe. Wenn Patienten Bedenkzeit nach einem Aufklärungsgespräch wünschen, müssen sie sich dazu selbst äußern. Der Bundesgerichtshof Karlsruhe (BGH) hat in einem am Mittwoch, 08. Februar 2023, veröffentlichten Leitsatzurteil entschieden, dass ein Arzt dies in der Regel nicht von sich aus anbieten muss (Az.: VI ZR 375/21). Etwas anderes gelte nur, sofern sich aus dem Aufklärungsgespräch Hinweise ergeben, dass der Patient noch etwas Zeit braucht.
Der Kläger litt 2013 unter chronisch wiederkehrenden Ohrentzündungen und sogenannten Paukenergüssen. Hierbei handelt es sich um eine Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr. Nach der Überweisung ins Krankenhaus empfahl der dortige Arzt eine Operation an Nase und Nebenhöhlen. Nach dem Aufklärungsgespräch hat der Patient die Einwilligungserklärung unterschrieben.
Bei der Operation wurden die äußere Hirnhaut und die vordere Hirnschlagader, außerdem wurde der linke Riechnerv durchtrennt. Der Kläger benötigte daraufhin eine umfangreiche stationäre Behandlung. Mit seiner Klage auf Schadensersatz macht er unter anderem geltend, dass keine ausreichende Aufklärung stattgefunden habe.
Nach einem Aufklärungsgespräch muss eine Bedenkzeit möglich sein.
Das Oberlandesgericht Bremen (OLG) hatte hierzu entschieden, dass die Einwilligung nicht wirksam war, da der Paragraf 630e BGB, der im Jahre 2013 eingefügt wurde, nach dem Aufklärungsgespräch eine Bedenkzeit bis zur Unterzeichnung verlange.
Dem hat der BGH nun widersprochen. Vom OLG seien die gesetzlichen Anforderungen überspannt. Eine Aufklärung muss danach „so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann“. Bereits nach dem Wortlaut beziehe es sich „allein auf den Zeitpunkt, zu dem das Aufklärungsgespräch stattzufinden hat“.
Der Gesetzgeber habe mit dem Paragraphen letztlich die bisherige Rechtsprechung in das Gesetz einfließen lassen wollen. Es sei keine zu beachtende „Sperrfrist“ vor Erteilung der Einwilligung festgelegt. Es reiche vielmehr aus, wenn das Aufklärungsgespräch – sofern es medizinisch möglich ist- derart rechtzeitig stattfindet, dass eine Bedenkzeit möglich ist. Kurz vor einer Operation dürfe es keine Drucksituation geben.
Der Patient muss ausreichend Gelegenheit für eine freie Entscheidung haben.
Im Urteil heißt es weiter, dass entscheidend ist, „ob der Patient unter den jeweils gegebenen Umständen ausreichend Gelegenheit hat, innerlich frei darüber zu entscheiden, ob er sich der beabsichtigten medizinischen Maßnahme unterziehen will oder nicht.“ Es sei dann Sache des Patienten, zu welchem Zeitpunkt er seine Entscheidung dann trifft.
Wenn er sich schon nach dem Aufklärungsgespräch zu einer wohlüberlegten Entscheidung in der Lage sieht, hat er das Recht, sofort die Einwilligung zu geben. Wenn er dagegen eine Weile darüber nachdenken möchte, kann von ihm erwartet werden, dass er dies gegenüber dem Arzt äußert und zunächst von einer Einwilligung absieht, auch wenn diese im beispielsweise im Anschluss an das Gespräch erbeten wurde.
Die Richter in Karlsruhe räumten dabei ein, dass dies ein gewisses Maß an Überwindung kosten könne, wenn man sich dem „Apparat“ einer Klinik gegenübersehe. Dies sei jedoch auf die Selbstbestimmung des Patienten zurückzuführen. Äußert ein Patient daher keinen Wunsch nach einer Bedenkzeit, dann können Ärzte regelmäßig davon ausgehen, dass diese nicht erforderlich ist. Etwas anderes gelte – sofern medizinisch vertretbar – nur, „wenn für den Arzt erkennbare konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der Patient noch Zeit für seine Entscheidung benötigt“.
Eine Einwilligung kann auch in konkludenter Form erfolgen.
Eine Einwilligung kann nach dem Urteil aus Karlsruhe auch in konkludenter Form erfolgen, also nur begründet durch das Verhalten des Patienten. Dies sei auch hier geschehen. Drei Tage nach dem Aufklärungsgespräch sei der Patient zur Operation in die Klinik gekommen. Er habe auch die Vorbereitungen für die Operation geduldet. Der BGH betonte, dass die Einwilligung „kein Rechtsgeschäft“ sei, sondern eine „Gestattung“, deshalb sei sie auch nicht an eine bestimmte Form gebunden.
Das Oberlandesgericht Bremen hat im streitigen Fall nur auf die Aufklärung abgestellt. Mögliche Behandlungsfehler hingegen wurden nicht geprüft. Nach dem Urteil des BGH vom 20. Dezember 2022 soll es dies nun nachholen.
Quelle: © Fachanwalt.de
Symbolgrafik: © Lumos sp - stock.adobe.com