Arbeitsrecht

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über den Beendigungstermin hinaus? - Zum Teil noch immer unbekannt

19.09.2024
Zuletzt bearbeitet am: 19.09.2024

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung (bis zu sechs Wochen wegen derselben Erkrankung) endet an sich mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses, auch wenn der sechswöchige Zeitraum noch nicht ausgeschöpft ist. Das Gesetz sieht hiervon seit Langem aber eine Ausnahme vor, die manche Arbeitgeber auch heute noch überrascht.

In meiner Beratungspraxis habe ich nach Jahren der "Pause" wieder mehrere Fälle, die den § 8 Abs. 1 EFZG betreffen.

Was steht in § 8 Abs. 1 EFZG?

Kurz gefasst: Wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis "aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit" kündigt, muss er die Entgeltfortzahlung (bis zu sechs Wochen wegen derselben Erkrankung) auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses leisten (an sich wäre das die zeitliche Grenze, was § 8 Abs. 2 EFZG klarstellt).

Wann ist das relevant?

Bei kurzen Kündigungsfristen, insbesondere bei der zweiwöchigen Probezeitkündigungsfrist (§ 622 Abs. 2 BGB), wenn die Erkrankung (etwas) länger andauert.

Die Wartezeit von vier Wochen auf die auf Entgeltfortzahlung (§ 3 Abs. 3 EFZG) hilft meist nur bedingt (bis zu sechs Wochen Entgeltfortzahlung gibt es ab der 5. Woche, die dann die "erste" der bis zu sechs Wochen ist, auch wenn die Erkrankung in der Wartezeit begonnen hat).

Beispiel: Eine Pflegekraft fängt neu an und meldet sich nach wenigen Wochen krank und bleibt auch länger krank. Vorher lief die Einarbeitung bereits holprig , so dass arbeitgeberseitig zunehmend Zweifel an Bereitschaft/Motivation der Pflegekraft entstanden sind und intern bereits eine Probezeitkündigung vorbesprochen worden ist. Kurz nach Beginn der Erkrankung wird die arbeitgeberseitige Probezeitkündigung auch erklärt.

Was bedeutet "aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit"?

Im Kern ist das der Fall, wenn die Kündigung "ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit" hat, die Erkrankung also den "entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben" bzw. diesen „wesentlich beeinflusst“ hat. Die Erkrankung braucht aber nicht das "Motiv" der Kündigung zu sein. Sie muss innerhalb der Ursachenkette aber ein entscheidend mitbestimmender Faktor für den Kündigungsausspruch sein.

Eine Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit scheidet aber etwa aus, wenn der Arbeitgeber von der Erkrankung des Arbeitnehmers keine Kenntnis hat.

Was folgt daraus?

Die Kenntnis des Arbeitgebers von der Erkrankung und der zeitliche Zusammenhang zwischen Arbeitsverhinderung und Kündigung führen zum Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Arbeitgeber aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat.

Allerdings kann der Arbeitgeber diesen Anscheinsbeweis dadurch erschüttern, dass er Tatsachen vorträgt und notfalls beweist, die es plausibel erscheinen lassen, dass nicht die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit den Kündigungsentschluss bestimmt hat. Es ist zwar umstritten, ob dann ein Anscheinsbeweis (so mehrere Landesarbeitsgerichte) oder ein sog. Indzienschluss vorliegt; im praktischen Ergebnis macht das normalerweise keinen Unterschied.

Gelingt dem Arbeitgeber nicht, den Anschein/die Indizien zu entkräften, muss er eben über den Termin der Beendigung  des Arbeitsverhältnisses Entgeltfortzahlung leisten (max. aber weiterhin bis sechs Wochen wegen derselben Erkrankung).

Wichtig: Es geht hier nicht um Kündigungsrecht. Dort wäre es in der Regel so, dass der Arbeitnehmer in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses die Unwirksamkeit der Kündigung darzulegen und zu beweisen hätte. Vielmehr geht es um Entgeltfortzahlungsrecht. Und hier regelt § 8 Abs. 1 EFZG eben die eben dargestellte Folge zu Lasten des Arbeitgebers, wenn bei Kenntnis der Erkrankung in zeitlichem Zusammenhang gekündigt wird. 

Fazit

Der Arbeitgeber kann also schnell einmal in die "Falle tappen" und muss sich "verteidigen" bzw. "erklären". Je nach Sachverhalt und "Beweislage" kann das unterschiedlich ausgehen.

Den Anspruch erheben können die Arbeitnehmer selbst, die teilweise auch von den "geschulteren" Krankenkassen auch entsprechend informiert werden. Wenn die Krankenkasse für die Zeit Krankengeld zahlt, kann auch sie selbst (aber nur in Höhe des Krankengeldes) den Anspruch gegen den Arbeitgeber geltend machen.

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Dr. Artur Kühnel
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