Arbeitsrecht

Equal Pay im Fokus: Klage einer Mitarbeiterin auf höheres Entgelt nur teilweise erfolgreich

Zuletzt bearbeitet am: 07.11.2024

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg entschied am 1.10.2024 in einem prominenten Fall zur Entgeltgleichheit zugunsten einer Mitarbeiterin in einem Autobauer-Betrieb – allerdings nur teilweise. Während die Klägerin eine vollständige Angleichung ihres Gehalts an das ihrer männlichen Kollegen forderte, sprach das Gericht lediglich eine Anpassung auf den Median der männlichen Vergleichsgruppe zu. Die Argumentation des Gerichts und das zugrunde liegende Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) werfen Fragen zur Reichweite der Equal-Pay-Ansprüche auf (Urteil vom 01.10.2024- 2 Sa 14/24).

Differenzberechnung als Maßstab für Gleichbehandlung

Im Fall der langjährigen Mitarbeiterin, unterstützt durch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), zielte die Klage auf eine Gehaltsangleichung an ihre männlichen Kollegen ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg entschied jedoch, dass nur eine Angleichung an den Median der männlichen Vergleichsgruppe, anstatt auf das höchste Niveau erfolgen könne, da der Median als gerechter Maßstab zur Erkennung und Korrektur von Geschlechterdiskriminierung gelte. Hintergrund sind Vorgaben des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) und die Frage, ob die Lohnunterschiede auf geschlechtsneutralen Faktoren basieren. Laut Gericht müsse für eine volle Angleichung ein spezifisches Indiz für Benachteiligung in der geforderten Höhe vorliegen.

Rechtsrahmen: Entgelttransparenzgesetz und AGG im Zusammenspiel

Das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) wurde mit dem Ziel eingeführt, geschlechtsspezifische Lohnunterschiede offenzulegen und zu beseitigen. Die Kernregelungen des Gesetzes umfassen insbesondere ein Auskunftsrecht für Arbeitnehmer, welches das Medianprinzip als Vergleichsmaßstab festlegt. Diese gesetzliche Grundlage soll sicherstellen, dass gleiche Gehälter für gleichwertige Tätigkeiten geschlechterübergreifend gezahlt werden.

Zusätzlich stützt sich das Verfahren auf den Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Das AGG sieht vor, dass ein Indiz für eine Diskriminierung ausreicht, um eine Benachteiligung glaubhaft zu machen. Jedoch entschied das LAG, dass nur ein sehr konkretes Indiz für eine Diskriminierung in einer bestimmten Höhe einen Anspruch auf eine vollständige Angleichung rechtfertigen könne. Ein pauschales Indiz sei demnach nicht ausreichend, um eine vollständige Gehaltsangleichung zu begründen.

Reaktionen und Bedeutung für die Praxis

Das Urteil hat in juristischen Kreisen und bei Arbeitnehmervertretungen Aufmerksamkeit erregt. Es wird kritisiert und betont, dass das LAG Baden-Württemberg hinter den Standards des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zurückbleibe. In der Vergangenheit entschieden diese Instanzen, dass bereits ein einfacher Nachweis von Lohnunterschieden zwischen männlichen und weiblichen Mitarbeitern einen Anspruch auf gleiche Bezahlung begründen kann, sofern der Arbeitgeber keine objektiven Gründe für die Differenz vorlegt.

Die GFF (Gesellschaft für Freiheitsrechte) und weitere Klägerinnen sehen im Urteil des LAG ein Signal, das strukturellen Diskriminierungen in Unternehmen nicht ausreichend entgegentritt. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ist zugelassen, sodass sich hier potenziell wegweisende Änderungen in der Rechtsprechung ergeben könnten.

Praktischer Tipp: Lohntransparenz als Präventionsmaßnahme stärken

Unternehmen können das Risiko von Diskriminierungsklagen im Bereich der Entgeltgleichheit verringern, indem sie proaktive Transparenzmaßnahmen implementieren. Dazu zählen regelmäßige Lohnanalysen, Offenlegung von Gehaltsbändern und die Einführung von internen Meldesystemen, durch die Mitarbeiter Diskriminierungserfahrungen anonym melden können. Diese Maßnahmen helfen, mögliche Lohnungleichheiten frühzeitig zu erkennen und gezielt gegenzusteuern.

Fazit

Das Urteil des LAG Baden-Württemberg zeigt die Herausforderungen bei der Umsetzung des Entgelttransparenzgesetzes und der Equal-Pay-Prinzipien. Der Medianansatz als Vergleichsgröße, wie ihn das Gericht vorsieht, könnte die Interpretation von Lohnungleichheit langfristig beeinflussen. Die Fortsetzung des Verfahrens auf höchster Instanz könnte entscheidende Klarheit für zukünftige Equal-Pay-Ansprüche schaffen.

Symbolgrafik:© Stockfotos-MG - stock.adobe.com

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