Erbrecht

Erbschaft und der letzte gewöhnliche Aufenthalt – deutsches oder polnisches Recht?

09.08.2024
Zuletzt bearbeitet am: 09.08.2024

Wenn es um grenzüberschreitende Erbfälle geht, kann der gewöhnliche Aufenthaltsort des Erblassers eine entscheidende Rolle spielen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat jetzt klargestellt, welche Kriterien für die Bestimmung dieses Aufenthaltsortes maßgeblich sind, insbesondere bei Pflegebedürftigen, die ins Ausland gebracht wurden. Hier erfahren Sie, worauf Sie in solchen Fällen achten sollten.

Was ist der „gewöhnliche Aufenthaltsort“ und warum ist er wichtig?

Der gewöhnliche Aufenthaltsort einer Person ist in Erbsachen von zentraler Bedeutung, da er darüber entscheidet, welches Land und welches Rechtssystem für die Abwicklung des Nachlasses zuständig ist . Die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) regelt, dass die Gerichte des Landes zuständig sind, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Der Fall: Pflegeheim im Ausland und der Bleibewille des Erblassers

Im konkreten Fall verstarb ein deutscher Staatsbürger, der an Demenz litt, in einem Pflegeheim in Polen. Zuvor hatte er jedoch sein gesamtes Leben in Deutschland verbracht und dort auch sein Vermögen gehalten. Seine Ehefrau, die ihn in das polnische Pflegeheim gebracht hatte, beantragte in Deutschland einen Erbschein. Das Nachlassgericht in Deutschland lehnte dies zunächst ab und argumentierte, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort durch die Verlegung ins polnische Pflegeheim nach Polen verlegt habe. Danach würde sich das Erbe nach polnischem Recht richten und polnische Gerichte seien dafür zuständig.

Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 22. Juli 2024 – 14 W 50/24 (Wx)) hob diese Entscheidung jedoch auf. Es stellte klar, dass für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes neben dem tatsächlichen Aufenthalt auch der Bleibewille des Erblassers entscheidend ist. Der Erblasser war gegen oder ohne seinen Willen nach Polen gebracht worden, und es gab keine Hinweise darauf, dass er Polen als neuen Lebensmittelpunkt gewählt hätte. Er hatte keine sprachlichen oder sozialen Bindungen zu Polen, sein Vermögen befand sich ausschließlich in Deutschland, und er hatte die polnische Sprache nicht gesprochen. Unter diesen Umständen konnte nicht von einem gewöhnlichen Aufenthaltsort in Polen ausgegangen werden.

Was bedeutet das für Erben und Erblasser?

  1. Bleibewille ist entscheidend: Der gewöhnliche Aufenthaltsort setzt nicht nur den tatsächlichen Aufenthalt voraus, sondern auch den Willen, diesen Ort als Lebensmittelpunkt zu wählen. Wenn eine Person, wie im Fall des demenzkranken Erblassers, gegen ihren Willen ins Ausland gebracht wird, bleibt der ursprüngliche Aufenthaltsort relevant.
  2. Objektive und subjektive Kriterien: Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes werden sowohl objektive Kriterien (wie die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts) als auch subjektive Kriterien (wie der Wille, an diesem Ort dauerhaft zu bleiben) berücksichtigt. Ein Aufenthalt allein aus pflegerischen Gründen ohne weitere Bindungen an das Land reicht in der Regel nicht aus, um den gewöhnlichen Aufenthaltsort zu verlegen.
  3. Bedeutung für die Zuständigkeit der Gerichte: Wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht verlegt hat, bleiben die Gerichte seines ursprünglichen Landes für die Erbschaft zuständig. Dies ist besonders wichtig für Erben, die die Abwicklung des Nachlasses im gewohnten Rechtssystem durchführen möchten.
  4. Pflege im Ausland: Wenn Sie planen, einen pflegebedürftigen Angehörigen ins Ausland zu bringen, sollten Sie sich bewusst sein, dass dies nicht zwangsläufig zu einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts führt. Besonders dann, wenn die betroffene Person keine Absicht hat, dort dauerhaft zu bleiben oder keine Bindungen zu dem Land hat.

Fazit

Der gewöhnliche Aufenthaltsort spielt eine entscheidende Rolle in grenzüberschreitenden Erbfällen. Insbesondere wenn es um die Unterbringung in ausländischen Pflegeheimen geht, ist der Wille des Erblassers entscheidend. Für Erben und Erblasser ist es daher wichtig, diese Aspekte frühzeitig zu klären, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden. Bei Unsicherheiten ist es ratsam, rechtlichen Rat einzuholen, um sicherzustellen, dass die Nachlassabwicklung reibungslos verläuft und die Wünsche des Erblassers respektiert werden.

 

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor

Mathias Nittel
Rechtsanwalt •
Maximilianstraße 2
80539 München

Telefon: 089 248879300


Diesen Rechtsanwalt bewerten
Vereinbaren Sie hier eine Rechtsberatung zum Artikel-Thema:
Kontaktieren Sie hier Fachanwalt Mathias Nittel:
* Pflichtfeld
Ja, ich willige ein, dass meine im „Kontaktformular“ eingetragenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Angebotsvermittlung per Fax und E-Mail an den zu kontaktierenden Anwalt übermittelt und gespeichert werden. Diese jederzeit widerrufliche Einwilligung sowie die Verarbeitung und Datenübermittlung durch Dritte erfolgen gem. unserer Datenschutzerklärung.
Kontaktieren
Weitere Artikel des Autors
Erbrecht Grabpflegekosten mindern den Pflichtteil nicht
13.08.2024

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 26. Mai 2021 (Az. IV ZR 174/20) eine für das Erbrecht bedeutende Entscheidung getroffen und eine lange streitige Frage geklärt. Dabei wurden zwei wesentliche Fragen zu den Kosten der Grabpflege geklärt, die insbesondere für Erbrechtspraktiker von großer Relevanz sind. Der BGH stellte klar, dass Grabpflegekosten keine Nachlassverbindlichkeiten im Sinne von § 1968 BGB darstellen und somit den Pflichtteilsanspruch nicht mindern, selbst wenn der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung eine entsprechende Auflage zur Grabpflege an die Erben gerichtet hat. Amtliche Leitsätze des Urteils: ... weiter lesen

Erbrecht LG Koblenz: Gericht bestätigt wirksame Schenkung von Sparguthaben
09.08.2024

Das Landgericht (LG) Koblenz hat am 4. Juni 2024 eine wichtige Entscheidung getroffen, die Klarheit für Verbraucher schafft, die Sparbücher als Schenkung erhalten haben. In einem aktuellen Fall ging es um die Schenkung von zwei Sparbüchern im Wert von über 92.000 Euro, die eine Frau von ihrem verstorbenen Bruder erhalten hatte. Der Kläger, ein Testamentsvollstrecker, verlangte die Herausgabe der Sparbücher und argumentierte, dass die Schenkung aufgrund fehlender Abtretungserklärungen und notarieller Beurkundung unwirksam sei. Das LG Koblenz hat die Klage jedoch abgewiesen und die Schenkung als wirksam bestätigt. Hintergrund des Falls ... weiter lesen

Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Erbrecht Erbschaftsausschlagung und Anfechtung bei Irrtum

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit einem aktuellen Beschluss entschieden, dass eine Erbschaftsausschlagung angefochten werden kann, selbst wenn der Erbe nicht alle möglichen Informationsquellen über die Zusammensetzung des Nachlasses genutzt hat. Dies gilt insbesondere, wenn der Erbe aufgrund einer Fehlvorstellung von einer Überschuldung ausgegangen ist. ( Az. 21 W 146/23 ) Erbschaftsausschlagung und die Rolle des Irrtums Eine Erbschaftsausschlagung kann unter bestimmten Umständen angefochten werden. Gemäß dem Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juli 2024 ist dies möglich, wenn ein Erbe seine Ausschlagungserklärung aufgrund ... weiter lesen

Erbrecht OLG Oldenburg bestätigt: Testament auf Kneipenblock rechtsgültig

Ein ungewöhnlicher Testamentfall, verhandelt vom 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg unter dem Aktenzeichen 3 W 96/23 , hat für Aufsehen gesorgt: Ein Gastwirt aus dem Ammerland verfasste sein Testament auf einem Kneipenblock, welches von seiner Partnerin, die sich als Alleinerbin sah, beim Nachlassgericht zur Erteilung eines Erbscheins eingereicht wurde. Kneipenblock-Testament: Gericht zweifelt letzten Willen an Ein Gastwirt hinterließ nach seinem Ableben ein Testament, das auf einem im Gastraum gefundenen Kneipenblock notiert war. Darauf stand unter Datum und Unterschrift der Spitzname einer Person – „X“ – mit dem Vermerk „X bekommt alles“. ... weiter lesen

Erbrecht Kein Erbe nach ignorierter Gerichtspost

Karlsruhe (jur). Trotz aller Trauer nach dem Tod eines nahen Angehörigen sollte die Post vom Gericht nicht unbeantwortet liegenbleiben. Denn das kann dazu führen, dass man unverhofft ohne Erbe dasteht, wie ein am Montag, 12. Juni 2023, veröffentlichter Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe zeigt (Az.: IV ZB 11/22). Danach kann ein Gericht die „Erbunwürdigkeit“ auch in einem sogenannten Versäumnisurteil ohne jede Beteiligung der betroffenen Person aussprechen.  Im konkreten Fall war ein Mann aus dem Raum Köln am 9. November 2018 verstorben. Fünf Wochen später reichte seine Ehefrau beim Nachlassgericht ein von beiden Eheleuten unterzeichnetes ... weiter lesen

Erbrecht Erbfallkostenpauschale auch für „Nacherben“

München (jur). Sieht ein Testament vor, dass zunächst der Ehepartner und dann beispielsweise die Kinder erben sollen, sind dies zwei getrennte „Erbfälle“. Daher können zunächst der Ehemann als „Vorerbe“ und dann auch die Kinder als „Nacherben“ bei der Erbschaftsteuer die „Erbfallkostenpauschale“ absetzen, wie der Bundesfinanzhof (BFH) in München in einem am Donnerstag, 4. Mai 2023, veröffentlichten Urteil entschied (Az.: II R 3/20). Ein Nachweis, dass im Zusammenhang mit dem Erbe Kosten entstanden sind, sei dafür nicht nötig.  Gerade bei Ehepaaren mit Kindern sind solche Testamente inzwischen üblich. Auch im Streitfall hatte die Erblasserin ... weiter lesen

Ihre Spezialisten