Wenn es um grenzüberschreitende Erbfälle geht, kann der gewöhnliche Aufenthaltsort des Erblassers eine entscheidende Rolle spielen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat jetzt klargestellt, welche Kriterien für die Bestimmung dieses Aufenthaltsortes maßgeblich sind, insbesondere bei Pflegebedürftigen, die ins Ausland gebracht wurden. Hier erfahren Sie, worauf Sie in solchen Fällen achten sollten.
Was ist der „gewöhnliche Aufenthaltsort“ und warum ist er wichtig?
Der gewöhnliche Aufenthaltsort einer Person ist in Erbsachen von zentraler Bedeutung, da er darüber entscheidet, welches Land und welches Rechtssystem für die Abwicklung des Nachlasses zuständig ist . Die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) regelt, dass die Gerichte des Landes zuständig sind, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
Der Fall: Pflegeheim im Ausland und der Bleibewille des Erblassers
Im konkreten Fall verstarb ein deutscher Staatsbürger, der an Demenz litt, in einem Pflegeheim in Polen. Zuvor hatte er jedoch sein gesamtes Leben in Deutschland verbracht und dort auch sein Vermögen gehalten. Seine Ehefrau, die ihn in das polnische Pflegeheim gebracht hatte, beantragte in Deutschland einen Erbschein. Das Nachlassgericht in Deutschland lehnte dies zunächst ab und argumentierte, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort durch die Verlegung ins polnische Pflegeheim nach Polen verlegt habe. Danach würde sich das Erbe nach polnischem Recht richten und polnische Gerichte seien dafür zuständig.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 22. Juli 2024 – 14 W 50/24 (Wx)) hob diese Entscheidung jedoch auf. Es stellte klar, dass für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes neben dem tatsächlichen Aufenthalt auch der Bleibewille des Erblassers entscheidend ist. Der Erblasser war gegen oder ohne seinen Willen nach Polen gebracht worden, und es gab keine Hinweise darauf, dass er Polen als neuen Lebensmittelpunkt gewählt hätte. Er hatte keine sprachlichen oder sozialen Bindungen zu Polen, sein Vermögen befand sich ausschließlich in Deutschland, und er hatte die polnische Sprache nicht gesprochen. Unter diesen Umständen konnte nicht von einem gewöhnlichen Aufenthaltsort in Polen ausgegangen werden.
Was bedeutet das für Erben und Erblasser?
- Bleibewille ist entscheidend: Der gewöhnliche Aufenthaltsort setzt nicht nur den tatsächlichen Aufenthalt voraus, sondern auch den Willen, diesen Ort als Lebensmittelpunkt zu wählen. Wenn eine Person, wie im Fall des demenzkranken Erblassers, gegen ihren Willen ins Ausland gebracht wird, bleibt der ursprüngliche Aufenthaltsort relevant.
- Objektive und subjektive Kriterien: Bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsortes werden sowohl objektive Kriterien (wie die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts) als auch subjektive Kriterien (wie der Wille, an diesem Ort dauerhaft zu bleiben) berücksichtigt. Ein Aufenthalt allein aus pflegerischen Gründen ohne weitere Bindungen an das Land reicht in der Regel nicht aus, um den gewöhnlichen Aufenthaltsort zu verlegen.
- Bedeutung für die Zuständigkeit der Gerichte: Wenn der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht verlegt hat, bleiben die Gerichte seines ursprünglichen Landes für die Erbschaft zuständig. Dies ist besonders wichtig für Erben, die die Abwicklung des Nachlasses im gewohnten Rechtssystem durchführen möchten.
- Pflege im Ausland: Wenn Sie planen, einen pflegebedürftigen Angehörigen ins Ausland zu bringen, sollten Sie sich bewusst sein, dass dies nicht zwangsläufig zu einer Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts führt. Besonders dann, wenn die betroffene Person keine Absicht hat, dort dauerhaft zu bleiben oder keine Bindungen zu dem Land hat.
Fazit
Der gewöhnliche Aufenthaltsort spielt eine entscheidende Rolle in grenzüberschreitenden Erbfällen. Insbesondere wenn es um die Unterbringung in ausländischen Pflegeheimen geht, ist der Wille des Erblassers entscheidend. Für Erben und Erblasser ist es daher wichtig, diese Aspekte frühzeitig zu klären, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden. Bei Unsicherheiten ist es ratsam, rechtlichen Rat einzuholen, um sicherzustellen, dass die Nachlassabwicklung reibungslos verläuft und die Wünsche des Erblassers respektiert werden.