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Fiktive Beurteilung von freigestelltem Personalratsmitglied unzulässig

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(1 Bewertung)15.04.2025 Arbeitsrecht

Mit Beschluss vom 8. April 2025 (Az. 5 ME 65/24) hat das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen eine wichtige Entscheidung zum Benachteiligungsverbot von Mitgliedern der Personalvertretung getroffen. Es erklärte die fiktive Fortschreibung einer dienstlichen Beurteilung eines freigestellten Personalratsmitglieds für unzulässig, wenn eine regelkonforme Beurteilung möglich gewesen wäre. Das Verfahren betrifft den Bewerbungsverfahrensanspruch nach Art. 33 Abs. 2 GG und hat weitreichende Bedeutung für künftige Auswahlentscheidungen im öffentlichen Dienst.

Hintergrund: Auswahlentscheidung um Führungsposition

Die Antragsgegnerin, eine Bundesbehörde, hatte den nach Besoldungsgruppe A 15 bewerteten Dienstposten eines Geschäftsfeldmanagers ausgeschrieben. Neben mehreren Bewerbern bewarb sich auch der Antragsteller, ein Technischer Oberregierungsrat (A 14), der seit dem 2. August 2021 wegen seiner Tätigkeit im Personalrat vollständig vom Dienst freigestellt war.

Für den Beurteilungszeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 31. Januar 2023 wurde für ihn keine neue dienstliche Beurteilung erstellt, sondern die letzte Regelbeurteilung aus dem Jahr 2020 fiktiv fortgeschrieben. Die Antragsgegnerin stufte ihn im Rahmen dieser Fortschreibung mit der Notenstufe "B+" ein. Dagegen wurde der Beigeladene, ebenfalls Technischer Oberregierungsrat (A 14), in seiner aktuellen Regelbeurteilung vom 1. Februar 2023 mit der Bestnote "A1+" bewertet.

Auswahlentscheidung und rechtlicher Konflikt

Auf Grundlage dieser Bewertungen entschied sich die Behörde im November 2023 zugunsten des Beigeladenen. Der Antragsteller wurde mit Schreiben vom April 2024 über die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung informiert. Daraufhin beantragte er einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Osnabrück mit dem Ziel, die Besetzung der Stelle vorläufig zu verhindern.

Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag statt. Es hielt die Auswahlentscheidung für voraussichtlich rechtswidrig, da die dienstliche Beurteilung des Beigeladenen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Auswahlentscheidung noch nicht wirksam war. Die Entscheidung stützte sich lediglich auf eine "verbindliche Vorausauskunft", die keine rechtliche Grundlage habe. Ferner sei die fiktive Fortschreibung der Beurteilung des Antragstellers unzulässig, da ausreichend repräsentative Dienstzeiten vorlagen, um eine reguläre Beurteilung zu erstellen.

OVG bestätigt: Auswahlentscheidung war rechtswidrig

Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen wies die Beschwerde der Antragsgegnerin zurück. Es bestätigte, dass die Auswahlentscheidung gegen Art. 33 Abs. 2 GG verstoße, weil sie nicht auf einer rechtlich existenten aktuellen dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen basierte. Eine verbindliche Vorausinformation sei kein zulässiges Mittel im Auswahlverfahren. Eine dienstliche Beurteilung entfalte rechtliche Wirkung erst mit ihrer Bekanntgabe gegenüber dem Beurteilten.

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung sei der Zeitpunkt ihres Ergehens – nicht der späteren Beurteilung. Das Gericht betonte: Fehler im Auswahlverfahren können nicht durch spätere Entwicklungen geheilt werden. Ansonsten würden rechtswidrige Auswahlentscheidungen nachträglich legitimiert – ein Ergebnis, das mit dem Willkürverbot nicht zu vereinbaren sei.

Zurückweisung der fiktiven Fortschreibung

Besonders deutlich äußerte sich das Gericht zur Frage der fiktiven Fortschreibung der Beurteilung des Antragstellers. Dieser war lediglich für etwa die Hälfte des Beurteilungszeitraums vom Dienst freigestellt. Nach § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV ist eine fiktive Fortschreibung nur zulässig, wenn die dienstliche Tätigkeit weniger als 25 % der Arbeitszeit betraf – was hier nicht der Fall war. Tatsächlich hatte der Antragsteller bis August 2021 regulären Dienst geleistet.

Das Gericht stellte fest: Eine fiktive Fortschreibung kommt nur in Betracht, wenn eine reguläre Beurteilung nicht möglich ist. Das war hier nicht gegeben, da Beurteilungsbeiträge für mehr als 18 Monate vorlagen. Die Entscheidung, eine fiktive Fortschreibung vorzunehmen, verletzte somit den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers und stellte eine unzulässige Benachteiligung im Sinne des § 52 BPersVG dar.

Rechtliche Bedeutung für Personalvertretungen

Der Beschluss hat erhebliche Relevanz für die dienstliche Bewertung von freigestellten Mitgliedern der Personalvertretung. Das Gericht betonte, dass das Benachteiligungsverbot nach § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG (bzw. § 46 Abs. 3 Satz 6 BPersVG a.F.) strikt zu wahren sei. Die Praxis, fiktive Beurteilungen zu erstellen, darf nicht dazu führen, dass Personalratsmitglieder bei Beförderungsverfahren strukturell schlechter gestellt werden.

Insbesondere sei es problematisch, wenn Mitglieder von Personalvertretungen systematisch von Bestnoten ausgeschlossen würden, da die Fortschreibung auf den Durchschnitt der Vergleichsgruppe begrenzt sei. Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 BLV soll maximal 10 % der Beamten die Bestnote erhalten – eine Hürde, die mit fiktiven Fortschreibungen regelmäßig nicht überwunden wird.

Die Entscheidung ist ein deutliches Signal, dass Verwaltungsvorschriften wie die ZDv A-1340/83 im Einklang mit dem Grundgesetz ausgelegt werden müssen. Wo eine reguläre dienstliche Bewertung möglich ist, darf der Dienstherr keine ersetzende Fortschreibung wählen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass engagierte Mitglieder der Personalvertretung ihren Karriereweg aus Angst vor Nachteilen aufgeben.

Rechtsgrundlagen und zentrale Normen

  • Art. 33 Abs. 2 GG – Anspruch auf amtsangemessene Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung
  • § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV – Fiktive Fortschreibung bei Freistellung
  • § 50 Abs. 2 BLV – Quotierung der Bestnoten
  • § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG – Benachteiligungsverbot für Mitglieder der Personalvertretung
  • ZDv A-1340/83 – Verwaltungsvorschrift zur dienstlichen Beurteilung

Folgen für die Praxis

Der Beschluss verpflichtet Dienstherren zu einer sorgfältigen Prüfung, ob eine reguläre Beurteilung von freigestellten Beamten möglich ist. Wenn ein freigestelltes Mitglied der Personalvertretung über repräsentative Dienstzeiten verfügt, darf keine fiktive Fortschreibung erfolgen. Andernfalls riskiert die Behörde eine Rechtsverletzung mit der Folge, dass Auswahlentscheidungen aufgehoben werden.

Darüber hinaus stärkt die Entscheidung den Rechtsschutz unterlegener Bewerber. Diese müssen nicht den "besseren" Anspruch im engeren Sinne nachweisen, sondern es genügt, dass ihre Auswahl möglich erscheint. So bleibt der Zugang zu Führungspositionen für Personalratsmitglieder fair und rechtskonform.

Personalratsmitglieder nicht vorschnell fiktiv beurteilen

Tipp: Dienstherren sollten bei der Beurteilung von freigestellten Mitgliedern der Personalvertretung stets prüfen, ob die tatsächlichen Dienstzeiten ausreichen, um eine reguläre Beurteilung zu erstellen. Eine vorschnelle Anwendung der fiktiven Fortschreibung kann nicht nur gegen interne Vorschriften, sondern auch gegen Verfassungsrecht verstoßen. Personalratsmitglieder sollten sich bei Zweifeln an ihrer Bewertung rechtlich beraten lassen – insbesondere vor Beförderungsentscheidungen. Fehler im Verfahren können im gerichtlichen Eilverfahren erfolgreich beanstandet werden.

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