Urheberrecht und Medienrecht

Für Verdachtsberichtserstattung über Straftaten keine zu hohen Hürden

Zuletzt bearbeitet am: 13.06.2024

Karlsruhe. Wenn die Presse in teilweise identifizierbarer Weise über eine Anklageerhebung gegen einen mutmaßlichen Straftäter berichtet, ist es nicht erforderlich, für diese Berichterstattung eine Stellungnahme des Angeklagten einzuholen. Sonst würde es zu einer zumindest erheblichen Erschwerung der tagesaktuellen Berichterstattung über Teile einer strafgerichtlichen Hauptverhandlung kommen, hat der Bundesgerichtshof Karlsruhe (BGH) in einem am Dienstag, 12. Juli 2022 veröffentlichten Urteil entschieden (Az.: VI ZR 95 /21).

Im streitigen Fall berichtete die Bild-Zeitung am 28. Februar 2018 über ein Strafverfahren gegen einen Zahnarzt in Köln. Dieser Artikel befasste sich nur mit den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft und der erfolgten Verlesung der Anklageschrift am ersten Verhandlungstag. Demnach sollen der Zahnarzt und andere Personen über eine Briefkastenfirma elektronische Geräte für insgesamt 2,3 Millionen Euro gekauft aber nicht bezahlt haben. Die Geräte sollten dann weiterverkauft werden.

In dem Artikel wurde der Vorname des Arztes und der Anfangsbuchstabe seines Nachnamens genannt. Erwähnt wurde auch, dass er „eine schöne Praxis in der Kölner Innenstadt“ betreibt.

Das Landgericht verurteilte den Zahnarzt schließlich wegen Betrugs, Nötigung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.

Der Zahnarzt sah jedoch in der Berichterstattung über die Anklageerhebung eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte. Aufgrund der Nennung des Vornamens und des Anfangsbuchstabens des Nachnamens sowie der Nennung des Praxissitzes könnten Freunde und Bekannte ihn identifizieren. Dies erschwerte seine Resozialisierung. Das Verlesen der Anklageschrift stelle eine Verdachtsberichterstattung dar. In einem derartigen Fall hätte der Journalist der Bild ihn um eine Stellungnahme bitten müssen.

Der BGH urteilte am 31. Mai 2022, dass dem Zahnarzt kein Anspruch auf Unterlassung zusteht. Wahre Tatsachenbehauptungen, wie etwa die Verlesung einer Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft, müssten in der Regel hingenommen werden. Der Persönlichkeitsschutz müsse bei einer Verdachtsberichterstattung zwar mit der Pressefreiheit abgewogen werden, in einer aktuellen Berichterstattung über Straftaten sei jedoch im Allgemeinen dem Informationsinteresse Vorrang einzuräumen.

Die Berichterstattung der Bild wie deshalb von Anfang an zulässig gewesen. Es sei aus dem Artikel auch deutlich zu entnehmen, dass es sich hier nur um eine Anklage gehandelt habe und das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Es habe hier keine Vorverurteilung gegeben. Zwar liege mit der eingeschränkt identifizierbaren Verdachtsberichterstattung eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Klägers vor, das öffentliche Interesse an der Berichterstattung über die Klage sei aufgrund des Schadens in Millionenhöhe aber höher zu bewerten. Zumal der Angeklagte als sich als Zahnarzt auch noch in einer herausgehobenen gesellschaftlichen Stellung befinde.

Die Presse müsse sich bei einer identifizierbaren Berichterstattung auf einen „Mindestbestand an Beweistatsachen“ stützen. Bei der Anklageerhebung vor Gericht sei dies der Fall. Auch müssten Medien Gegenstand und Inhalt einer Hauptverhandlung verbreiten können. Der BGH betonte, dass Sie nicht selbst zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft recherchieren oder gar den Angeklagten zu einer Stellungnahme auffordern müssten.

Quelle: © Fachanwalt.de

Symbolgrafik: © nmann77 - stock.adobe.com

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor





Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Urheberrecht und Medienrecht Möge die Macht über das Vereinslogo beim Verein bleiben

Frankfurt/Main (jur). Ein Verein, hier von Star Wars-Fans, kann das von einem Mitglied gestaltete Vereinslogo auch nach dessen Rauswurf weiter nutzen. Denn das Fortbestehen des gewährten Nutzungsrechts an dem Logo ist grundsätzlich nicht an die Mitgliedschaft im Verein gebunden, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main in einem am Montag, 10. Juli 2023, veröffentlichten Urteil (Az.: 11 U 61/22 ).  Im konkreten Fall ging es um einen Verein für Fans der Filmreihe „Star Wars“. Der Kläger hatte als Vereinsmitglied für seinen Star Wars-Verein ein Logo gestaltet und diesem ein Nutzungsrecht hierüber eingeräumt. Doch dann kam es zum Zerwürfnis mit ... weiter lesen

Urheberrecht und Medienrecht Keine Rundfunkbeitragspflicht für Verwalter von Ferienwohnungen

Oldenburg (jur). Der Verwalter von Ferienwohnungen muss für die von ihm bewirtschafteten Unterkünfte keine Rundfunkbeiträge bezahlen. Beitragspflichtig seien regelmäßig nur die Eigentümer der Ferienwohnungen, entschied das Verwaltungsgericht Oldenburg in einem am Montag, 27. März 2023, bekanntgegebenen Urteil (Az.: 15 A 233/18).  Nur wenn der Verwalter die Ferienwohnungen an die Gäste in eigenem Namen vermiete, gehe die Rundfunkbeitragspflicht von den Eigentümern auf ihn über.  Damit bekam ein Vermietungsservice recht, der gewerblich Ferienwohnungen für die jeweiligen Eigentümer vermietet und betreut. Wegen dieser Tätigkeit sollte das Unternehmen ... weiter lesen

Urheberrecht und Medienrecht Recht am eigenen Bild – Bedeutung im Strafrecht einfach erklärt mit Beispielen

In Deutschland gilt das Recht am eigenen Bild und gehört zum Schutz der Persönlichkeitsrechte eines Menschen. Es besagt: Jeder ist frei, darüber zu entscheiden, ob und wie jemand sein Bild verwendet.  Die rechtliche Grundlage ist § 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Auf einer anderen Ebene greift das Kunsturhebergesetz, das neben dem Schutz von Kunstwerken auch das Recht am eigenen Bild regelt. Mit diesen Gesetzesbestimmungen wird Missbrauch vorgebeugt. Recht am eigenen Bild – was sagt das Gesetz? Das Recht am eigenen Bild ist ein Persönlichkeitsrecht, das jedem Menschen zusteht. Es besagt, dass niemand ohne Zustimmung des Betroffenen ein Foto oder Video von ihm ... weiter lesen

Urheberrecht und Medienrecht „Frauen-Aufreiß-Künstler“ muss Artikel über „Pick-Up-Artists“ dulden

Karlsruhe (jur). Verdient ein Student als Coach nebenberuflich sein Geld mit Tipps für schüchterne Männer zum „Frauen aufreißen“, muss er mit einer teils identifizierenden Berichterstattung rechnen. So darf die AStA-Zeitschrift einer Universität ihn mit seinem Vornamen und dem ersten Buchstaben seines Anfangsnamens nennen, wenn seine Tätigkeit als sogenannter Pick-Up-Artists und seinen Verführungstricks mit zunehmenden Übergriffen auf Frauen des Uni-Campus in Verbindung gebracht werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am Montag, 19. Dezember 2022, veröffentlichten Urteil (Az.: VI ZR 65/21).  Im Streitfall war der Kläger, ein ... weiter lesen

Ihre Spezialisten