Arbeitsrecht

Gewerkschaft muss Handakte herausgeben

Zuletzt bearbeitet am: 02.01.2023

Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 26.10.2022 zum Aktenzeichen 7 O 52/22 in einem von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. der Kölner Rechtsanwaltskanzlei JURA.CC vertretenen Fall entschieden, dass eine Gewerkschaft die Handakten an ein Mitglied herauszugeben hat.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Herausgabe einer Handakte aus einem Geschäftsbesorgungsvertrag geltend.

Der Kläger ist Mitglied bei der Beklagten. Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 50 und gilt deshalb als schwerbehindert, vgl. § 2 Abs. 2 SGB IX.

Die Beklagte vertrat den Kläger außergerichtlich gegenüber dem Arbeitgeber des Klägers. Daneben erfolgte eine umfassende rechtliche Beratung des Klägers durch die Beklagte. Es kam im Rahmen der rechtlichen Beratung und der zwischenzeitlichen gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen des Klägers gegen die Beklagte zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien, die im Einzelnen streitig sind.

Der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers forderte die Beklagte zur Übersendung sämtlicher Unterlagen aus und im Zusammenhang mit der Vertretung des Klägers auf. Die Beklagte teilte mit E-Mails vom selben Tage mit, dass die im arbeitsgerichtlichen Klageverfahren sowie in den beiden Zustimmungsverfahren gemäß §§ 168 ff. SGB IX geführte Korrespondenz vollumfänglich an den Kläger übersandt worden sei, so dass eine darüber hinausgehende Übermittlung nicht erforderlich sei und unterbleibe.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung übergab die Beklagte dem Kläger Unterlagen in drei Aktenordnern. Mit weiteren E-Mails übersandte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dem Prozessbevollmächtigten des Klägers weitere Unterlagen.

Dem Kläger stand der gegen die Beklagte geltend gemachte Herausgabeanspruch zu. Grundlage der anwaltlichen Tätigkeit der Beklagten war der auf Geschäftsbesorgung gerichteter Dienstvertrag mit dem Kläger (§§ 675, 611 BGB vgl. zur Rechtsnatur des Anwaltsdienstvertrages: Staudinger-Richardi/Fischinger, § 611, Rn. 1897). Der regelmäßig mit der Ausführung des Auftrags entstehende Anspruch wird durch das Erlöschen des Mandats nicht berührt.

Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach § 675 BGB auch die §§ 666, 667 BGB Anwendung. Dementsprechend ist der Rechtsanwalt nicht nur verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben, § 667 BGB, sondern auch, dem Auftraggeber die erforderlichen Nachrichten zu geben, auf Verlangen über den Stand des Geschäfts Auskunft zu erteilen und nach der Ausführung des Auftrags Rechenschaft abzulegen, § 666 BGB.

Zu den nach § 667 BGB herauszugebenden Unterlagen gehören die Handakten des Rechtsanwalts. Diese Herausgabepflicht wird auch in § 50 BRAO vorausgesetzt. Dokumente, die der Rechtsanwalt aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit von dem Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, hat er gemäß § 50 Abs. 1 BRAO seinem Auftraggeber auf Verlangen herauszugeben. Dabei fallen die Unterlagen, die dem Anwalt von seinem Auftraggeber ausgehändigt worden sind, unter die erste Alternative und der Schriftverkehr, den der Anwalt für seinen Auftraggeber geführt hat, unter die zweite Alternative des § 667 BGB. Aus der Geschäftsbesorgung erlangt ist daher insbesondere der gesamte drittgerichtete Schriftverkehr, den der Rechtsanwalt für den Auftraggeber erhalten und geführt hat, also sowohl die dem Rechtsanwalt zugegangenen Schriftstücke als auch Kopien eigener Schreiben des Rechtsanwalts. Die herauszugebenden Unterlagen umfassen auch Notizen über Besprechungen, die der Anwalt im Rahmen der Besorgung des Geschäfts geführt hat.

Der Begriff „Rechenschaft“ ist hier in einem weiteren Sinne gemeint als in § 259 BGB. Er bezieht sich insbesondere nicht lediglich auf eine mit Einnahmen und Ausgaben verbundene Verwaltung, sondern umfasst die über die Herausgabepflicht hinausgehende Pflicht des Beauftragten, in verkehrsüblicher Weise die wesentlichen Einzelheiten seines Handelns zur Auftragsausführung darzulegen und dem Auftraggeber die notwendige Übersicht über das besorgte Geschäft zu verschaffen. Dabei sind dem Auftraggeber auch Belege, soweit üblich und vorhanden, vorzulegen; diese Vorlagepflicht des Rechtsanwalts ist die Grundlage für den Anspruch des Auftraggebers auf Einsicht in die Handakten. Dass diese Einsicht sich ebenfalls auf Dokumente bezieht, bei der sich der beauftragte Rechtsanwalt der elektronischen Datenverarbeitung bedient, bedarf keiner weiteren Erörterung, vergl. nur § 50 Abs. 4 BRAO.

Dies gilt damit nicht nur für solche Unterlagen, die dem Auftraggeber zu belassen sind, also bereits unter die Herausgabepflicht nach § 667 BGB fallen; vielmehr kann sich die Vorlagepflicht auch auf diejenigen Bestandteile der Handakten des Rechtsanwalts beziehen, die nicht herausgegeben zu werden brauchen, sondern beim Anwalt verbleiben können.

Eine Ausnahme gilt insoweit allerdings für solche Unterlagen, die nicht lediglich über das Tun im Rahmen der Vertragserfüllung Aufschluss geben, sondern persönliche Eindrücke, die der Anwalt in den betreffenden Gesprächen gewonnen hat, wiedergeben. Aufzeichnungen des Anwalts über derartige persönliche Eindrücke sind oft nützlich; sie sind in Zweifel jedoch nicht für die Einsicht durch den Mandanten bestimmt und eine solche wäre dem Anwalt auch nicht zumutbar. Ein Anwalt, der zur Herausgabe von Handakten verpflichtet ist, braucht daher nicht auch derartige Aufzeichnungen offenzulegen. Darüber hinaus wird dem Anwalt bei der Ausführung des Mandats ein gewisser Freiraum zuzuerkennen sein, vertrauliche „Hintergrundinformationen“ zu sammeln, die er auch und gerade im wohlverstandenen Interesse seines Mandanten sowie im Interesse der Rechtspflege diesem gegenüber verschweigen darf. Aufzeichnungen über derartige Vorgänge unterliegen gleichfalls nicht der Herausgabepflicht.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der Kläger seinerzeit den gesamten für ihn relevanten Schriftwechsel zumindest in Kopie erhalten. Denn die Auskunfts- und Rechenschaftspflicht des Rechtsanwalts kann dementsprechend auch dann bestehen, wenn der Herausgabeanspruch des Auftraggebers gemäß § 667 BGB i. V. mit § 50 Abs. 2 S. 4 BRAO bereits durch Erfüllung erloschen ist; dies gilt sogar hinsichtlich solcher Unterlagen, die der Mandant zwar bereits erhalten hat, die aber bei ihm nachträglich verlorengegangen sind.

Der Kläger macht hier hinreichend substantiiert gelten, dass er nicht über sämtliche Unterlagen verfügte. Beschränkungen des Auskunftsanspruchs können sich nur aus den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach Treu und Glauben (§ 242 BGB), ergeben.

Zudem hat die insoweit für den Erfüllungseinwand (§ 362 Abs. 1 BGB) darlegungspflichtige Beklagte nicht konkret vorgetragen, welche Schriftstücke der Kläger schon in Urschrift oder Abschrift erhalten haben soll.

Die Beklagte hat auch nicht dargelegt und bewiesen, dass es sich bei den übergebenen Unterlagen um sämtliche Handakteninhalte handelt, die bei ihr vorlagen.

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