Ein Urteil mit weitreichenden Folgen für die Praxis der Einzelgläubigeranfechtung: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Entscheidung vom 6. März 2025 klargestellt, wie die Kenntnis nahestehender Personen von der Zahlungsunfähigkeit einer Schuldnerin zu bewerten ist. Dabei stärkt der Senat die Position anfechtender Gläubiger deutlich – insbesondere im Hinblick auf die sekundäre Darlegungslast.
Gläubigeranfechtung: Anfechtbarkeit familiärer Erwerbsvorgänge rückt stärker in den Fokus
Das Urteil (Az. IX ZR 209/23) betrifft die Übertragung zweier Immobilien von einer verschuldeten Mutter an ihre Tochter und deren Ehemann. Diese galten als nahestehende Personen im Sinne des § 138 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Die Gläubigerinnen verlangten die Duldung der Zwangsvollstreckung oder Wertersatz und beriefen sich auf eine Gläubigeranfechtung nach dem AnfG.
Begriffsklärung: Gläubigeranfechtung bei nahestehenden Personen
Die Anfechtung nach § 3 Abs. 1 AnfG setzt voraus, dass der Schuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelt und der Erwerber davon Kenntnis hat. Das Gesetz vermutet diese Kenntnis bei nahestehenden Personen, sofern ihnen die drohende oder bestehende Zahlungsunfähigkeit sowie die Benachteiligungswirkung bekannt war.
Der BGH betont in diesem Zusammenhang, dass die Schlüsse aus dem Naheverhältnis zur Schuldnerin nicht automatisch zu ziehen sind, sondern der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegen. Gleichzeitig stellt das Gericht klar, dass – etwa bei Unklarheiten zur Kaufpreiszahlung – eine sekundäre Darlegungslast beim Anfechtungsgegner liegen kann.
Immobilienverkauf im Familienkreis: Wann ist eine Schenkung zu vermuten?
- Keine Entlastung durch notarielle Kaufverträge: In dem Fall lag die Vermutung nahe, dass die Kaufverträge zumindest teilweise unentgeltlich waren. Die Schuldnerin hatte nur noch zwei werthaltige Immobilien, die sie kurz vor Klageeinreichung an Familienangehörige veräußerte. Die Gläubigerinnen bestritten die Zahlung der Kaufpreise. Die Beklagten mussten sich zur Kaufpreiszahlung erklären, ohne allerdings einen Beleg erbringen zu müssen. Dies reichte dem BGH aus, um die Darlegungspflicht zu bejahen.
- Missverhältnis zwischen Kaufpreis und Verkehrswert als Indiz: Ein weiterer Punkt des Urteils betrifft die Bewertung erheblicher Wertdifferenzen. Der BGH beanstandete, dass das Berufungsgericht die von den Klägerinnen behauptete Diskrepanz zwischen vereinbartem Kaufpreis und Verkehrswert nicht hinreichend berücksichtigte. Selbst wenn ein Familienrabatt denkbar sei, liege bei einer Differenz von über einer Million Euro eine besonders gravierende Unausgewogenheit vor, die nicht ignoriert werden dürfe.
Freie Beweiswürdigung trifft sekundäre Darlegungslast
Die Entscheidung verbindet zwei wesentliche Dogmatiken: Einerseits die richterliche Freiheit bei der Bewertung der Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit, andererseits die Verpflichtung zur erweiterten Darlegung bei konkreten Anhaltspunkten für eine unentgeltliche Übertragung. Dies stärkt die Position der Gläubiger, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens versuchen, auf verschobenes Vermögen zuzugreifen.
Relevanz für den Zugriff auf Familienvermögen
Für Unternehmer und Selbstständige, die sich gegen unlautere Vermögensverschiebungen wehren wollen, liefert das Urteil einen wichtigen Hebel. Die Schwelle für die Annahme einer Anfechtbarkeit bei innerfamiliären Geschäften ist gesunken. Käufer sollten bei Immobilienerwerben von nahestehenden Schuldnern sorgfältig dokumentieren, dass der Kaufpreis gezahlt wurde – auch wenn keine Belegpflicht besteht.
Tipp für Geschädigte: Prüfen Sie bei Verdacht auf Gläubigerbenachteiligung auch ältere Erwerbsvorgänge im familiären Umfeld der Schuldnerin. Das Urteil ermöglicht hier neue Angriffspunkte.
Zusammenfassung
Der BGH schafft mit diesem Urteil neue Klarheit für Gläubiger, die außerhalb eines Insolvenzverfahrens Anfechtungen vornehmen. Gleichzeitig formuliert er klare Anforderungen an den Vortrag des Anfechtungsgegners bei innerfamiliären Transaktionen. Das Zusammenspiel von Beweiswürdigung und sekundärer Darlegungslast schafft mehr Gerechtigkeit im Spannungsfeld zwischen Gläubigerschutz und rechtlich zulässiger Vermögensnachfolge.
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