Bei Verkehrsunfällen im Straßenverkehr müssen nicht nur Erwachsene sondern auch Kinder unter Umständen mit rechtlichen Konsequenzen rechnen.
Kommt es zu einem Verkehrsunfall, dann haftet häufig der an dem Unfall beteiligte Erwachsene. Typisches Beispiel ist etwa ein Autofahrer, der ein Kind als Fußgänger oder Radfahrer anfährt. Dies kommt dadurch, dass gegenüber Kindern erhöhte Sorgfaltspflichten gelten. Dies ergibt sich aus § 3 Abs. 2a StVO. Diese Regelung lautet wie Folgt: „Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.“
Allerdings gilt das nicht immer. Manchmal wird der Anspruch des Kindes aus Schadensersatz und Schmerzensgeld gem. § 823 Abs. 1 BGB beziehungsweise § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung eines Schutzgesetzes wegen eines Fehlverhaltens des Autofahrers wegen Mitverschulden gekürzt. Dies kommt etwa dann infrage, wenn ein älteres Kind hinter dem Schulbus über die Straße läuft und der Autofahrer es nicht sehen konnte und anfährt.
Darüber hinaus ist auch denkbar, dass das Kind oder Jugendliche für sein eigenes Fehlverhalten einstehen muss. Typisches Beispiel wäre etwa, wenn es mit einem Stein nach einem Auto schmeißt und dieses beschädigt wird bzw. es im schlimmsten Fall zu einem Unfall kommt.
Kind muss für Haftung deliktfähig sein
Inwieweit das Kind oder der Jugendliche zu einer Haftung herangezogen wird oder sein Verhalten in Bezug auf eigene Ansprüche anspruchskürzend berücksichtigt wird, hängt zunächst einmal davon ab, ob er überhaupt deliktsfähig ist gem. § 828 BGB. Dies beurteilt sich nach dem Alter des Kindes.
Wenn es mindestens 10 Jahre alt ist - beziehungsweise Jugendlicher bis zu 17 Jahre - wird von den Gerichten geprüft, ob es über die notwendige Einsichtsfähigkeit verfügt.
Wenn es zwischen 9 und 7 Jahre alt ist, gilt dies normalerweise ebenfalls. Allerdings ist in bestimmten Fällen eine Haftung des Kindes eingeschränkt. Dies gilt dann, wenn er einem anderem einen Schaden bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn zugefügt hat. Hier haftet das Kind nur, wenn es vorsätzlich gehandelt hat.
Kinder unter 7 Jahren sind im Rahmen von § 828 BGB von jeglicher Haftung befreit. Sie gelten als deliktunfähig. Hier kommt allenfalls eine Haftung nur im Rahmen des sogenannten Billigkeitshaftung gem. § 829 BGB infrage. Hiervon gehen allerdings Gerichte in der Praxis nur sehr selten aus.
Achtjährige Radfahrerin haftet wegen Einsichtsfähigkeit
Dass Kinder bereits in jungen Jahren haftbar gemacht werden können wird an einem Fall deutlich, in denen eine 8-jährige auf einer gemeinsamen Radtour mit ihren Eltern eine Fußgängerin verletzt hatte. Dies geschah dadurch, dass diese ausweichen musste und dabei in ein Hafenbecken gestürzt war. Dabei zog sie sich schwere Verletzungen zu.
Das Oberlandesgericht Celle verurteilte das Kind zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Gesamthöhe von fast 7.500 Euro gem. § 823 Abs. 1, § 828 Abs. 3, § 253 Abs. 2 BGB. Die Richter begründeten die Deliktsfähigkeit des Kindes in ihrem Urteil vom 19.02.2020 - 14 U 69/19 damit, dass einem 8-jährigen normalerweise klar sein muss, dass es bei einer Fahrt mit dem Fahrrad nicht längere Zeit rückwärts zu seinen Eltern, sondern geradeaus schauen muss. Genau dies hatte es jedoch getan. Da es hier um einen Unfall mit Fußgängern und nicht etwa mit einem Auto ging, reicht die Einsichtsfähigkeit des Kindes sowie ein fahrlässiges Handeln aus. Das Kind muss hier trotz seines Alters nicht vorsätzlich gehandelt haben.
Haftungsprivileg gegenüber Auto gilt nicht immer
Allerdings wird Kindern zwischen 7 und 9 Jahren auch bei einem Kraftfahrzeug nicht immer das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 BGB zuteil, wonach sie hier eigentlich bei Vorsatz haften. Dies wird an einem Sachverhalt deutlich, in dem eine 9-jährige Radfahrerin mit ihren Spielkameraden auf einem Spielplatz herumfuhr. Dabei verlor sie das Gleichgewicht und stürzte mit dem Rad gegen einen Wagen.
Der Bundesgerichtshof stellte mit Urteil vom 30.11.2004 - VI ZR 365/03 klar, dass es für den angerichteten Schaden aufkommen muss. Denn das Haftungsprivileg greift nur, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Das ist hier jedoch bei der Beschädigung eins parkenden Fahrzeugs normalerweise zu verneinen. Das Kind verfügte über die notwendige Einsichtsfähigkeit. Aufgrund seines Alters hätte es wissen müssen, dass man besser nichts zwischen parkenden Fahrzeugen durchführt, weil es dann schnell zu einem Schaden kommen kann.
Ähnlich sieht es nach einem Urteil des BGH vom 30.11.2004 - VI ZR 335/03 aus, wenn ein 9-jähriges Kind mit einem Kickboard zwischen parkenden Autos hindurchfährt.
11-jähriger Radfahrer haftete wegen schwerer Fahrfehler
In einem weiteren Sachverhalt war ein 11-jähriger Radfahrer auf dem Gehweg gefahren, den er aufgrund seines Alters nicht benutzen durfte. Darüber hinaus befuhr er diesen in entgegengesetzter Richtung. Aufgrund dessen stieß er beim Überqueren einer Straße mit einer Radfahrerin von 57 Jahren zusammen. Diese erlitt dadurch schwere Verletzungen.
Hierzu stellte das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 16.09.2016 - 9 U 238/15 klar, dass er wegen dieser schweren Fahrfehler alleine haftet gem. § 823 BGB, § 828 Abs. 3 BGB. Dieser bestand einmal darin, dass er in falscher Richtung verbotswidrig auf einem Gehweg gefahren ist. Darüber hinaus hätte er beim Überqueren auf den Verkehr achten müssen, was er nach den Feststellungen des Gerichtes nicht getan hat. Für dieses Fehlverhalten ist er auch verantwortlich, weil er mit 11 Jahren über die notwendige Einsichtsfähigkeit verfügt.
12-jährige Fußgängerin muss erhebliche Anspruchskürzung hinnehmen
In dem eingangs erwähnten Fall, in dem eine 12-jährige Schülerin hinter einem Schulbus über die Straße gelaufen und von einem Motorradfahrer angefahren und verletzt worden war, haftete dieser zwar aus Gefährdungshaftung gem. § 7 Abs. 1 StVG. Gleichfalls musste sich die Schülerin ein anspruchskürzendes Mitverschulden von einem Drittel gem. § 828 Abs. 3 BGB, § 254 BGB gefallen lassen. Dies begründeten die Richter des Oberlandesgerichtes Stuttgart mit Urteil vom 9.3.2017 - 13 U 143/16 damit, dass ein Kind in diesem Alter über die notwendige Einsicht verfügt um zu erkennen, dass ihr Verhalten gefährlich gewesen ist.
Fazit:
In welchem Verhältnis Kinder beziehungsweise Jugendliche über die notwendige Einsichtsfähigkeit verfügen, dafür gibt es genaue Regeln. Je älter es ist, desto eher gehen Gerichte davon aus, dass dies der Fall ist. Vieles hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Auf die Spontanität von Kindern und Jugendlichen müssen andere Verkehrsteilnehmer zwar Rücksicht nahmen und vorsichtig fahren, wenn sie eine Gefahrensituation erkennen. Trotzdem haben sie keinen Freifahrschein. Wichtig ist daher eine gute Verkehrserziehung durch Schule und Eltern.
Autor: Harald Büring, Ass. jur. (Fachanwalt.de-Redaktion)
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