In einem Grundsatzurteil hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden, dass die Herstellung und der Vertrieb eines nicht zugelassenen Krebsmedikaments unter bestimmten Umständen zulässig sein können. Das Gericht stellte fest, dass das Interesse individuell betroffener Krebspatienten an dem vorübergehenden Inverkehrbringen eines solchen Medikaments das allgemeine Verbraucherinteresse an der Einhaltung der Zulassungsvorschriften überwiegen kann.
Der Streitfall um ein nicht zugelassenes aber lebenswichtiges Medikament
Das Urteil betrifft einen Apotheker aus dem Taunus, der ein nicht zugelassenes Krebsmedikament herstellt und vertreibt. Ein Wirtschaftsverband hatte eine Unterlassungsklage eingereicht, um die Herstellung und den Vertrieb zu unterbinden. Das Medikament richtet sich gegen eine seltene, insbesondere bei Kindern auftretende, tödliche Tumorerkrankung. Ein vergleichbares Produkt eines US-amerikanischen Pharmaunternehmens befindet sich derzeit noch in der klinischen Prüfung.
Der Apotheker verteidigte sich mit dem Hinweis auf einen eigens entwickelten, verbesserten Syntheseweg. Das Gericht wies den Antrag auf Unterlassung zurück und hob hervor, dass angesichts des sicheren Todes durch die Krankheit und dem Fehlen alternativer Heilungsmöglichkeiten das Risiko potenzieller Nebenwirkungen in den Hintergrund trete. Das Medikament verspreche zumindest eine realistische Aussicht auf Stabilisierung oder Heilung.
Juristische Einordnung: Wann Ausnahmen vom Arzneimittelrecht zulässig sind
Das OLG Frankfurt stellte klar, dass die Herstellung nicht zugelassener Medikamente in absoluten Ausnahmefällen zulässig sein kann. Entscheidend sei die Abwägung zwischen dem individuellen Interesse des betroffenen Patienten und dem übergeordneten Ziel, die Zulassungspflicht strikt einzuhalten. Im vorliegenden Fall überwiege das Patienteninteresse, da keine Behandlungsalternativen bestehen und der Apotheker glaubhaft eine medizinisch sinnvolle Wirkung nachweisen konnte.
Besonders wichtig: Die Richter sahen keine Gefährdung der laufenden klinischen Studien durch die Herstellung. Die Entscheidung wurde im Eilverfahren getroffen und ist nicht anfechtbar.
Bedeutung für die Arzneimittelpraxis: Klarheit und Verantwortung bei nicht zugelassenen Medikamenten
Das Urteil könnte Signalwirkung für vergleichbare Fälle haben. Es zeigt, dass die Herstellung nicht zugelassener Medikamente unter sehr strengen Voraussetzungen rechtlich zulässig sein kann. Besonders für Apotheker und Hersteller, die in akuten Notlagen Patienten helfen wollen, bietet es einen wichtigen Orientierungsrahmen.
Gleichzeitig macht das OLG deutlich, dass es sich um Einzelfallentscheidungen handelt. Eine generelle Freigabe ist mit dem Urteil nicht verbunden. Vielmehr ist eine detaillierte und verantwortungsvolle Prüfung der medizinischen und rechtlichen Umstände zwingend erforderlich.
Handlungsempfehlung für betroffene Akteure
- Dokumentieren Sie die medizinische Notwendigkeit ausführlich.
- Belegen Sie die fehlende Verfügbarkeit zugelassener Alternativen.
- Ziehen Sie juristische Beratung hinzu, bevor Sie in Produktion oder Vertrieb eintreten.
Tipp für Apotheker und Hersteller: Wenn Sie erwägen, ein nicht zugelassenes Medikament herzustellen oder zu vertreiben, sollten Sie eine gründliche Dokumentation der medizinischen Notwendigkeit sowie der fehlenden Alternativen sicherstellen. Holen Sie zudem rechtlichen Rat ein, um die rechtliche Zulässigkeit im konkreten Einzelfall zu prüfen.
Zusammenfassung
Das Urteil des OLG Frankfurt zeigt, dass die Herstellung nicht zugelassener Medikamente in absoluten Ausnahmefällen erlaubt sein kann, wenn das Patientenwohl im Vordergrund steht. Es verdeutlicht die Bedeutung einer Einzelfallabwägung und mahnt zur Sorgfalt. Für Apotheker und Hersteller bedeutet dies eine Möglichkeit, in existenziellen Notlagen Hilfe zu leisten – unter strenger Beachtung der gesetzlichen Grenzen und unter Berücksichtigung sämtlicher medizinischer sowie rechtlicher Aspekte, die für die Entscheidung relevant sind.
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