Erfurt (jur). Tarifverträge können für „unregelmäßige Nachtarbeit“ höhere Zuschläge vorsehen, wenn hierfür ein sachlicher Grund angegeben ist. Ein solcher Grund kann die geringere Planbarkeit und damit die größeren Belastungen des Privatlebens bei unregelmäßigen Nachtschichten sein, urteilte am Mittwoch, 22. Februar 2023, das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (Az.: (Az: 10 AZR 332/20, 10 AZR 397/20 und weitere). Es wies damit unter anderem Klagen gegen Coca-Cola und Nestlé ab.
Einschlägiger Tarif im Leitfall Coca-Cola ist der Tarifvertrag der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost. Danach betrug der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit in Schichten 20 Prozent, für unregelmäßige Nachtarbeit 50 Prozent. Von Dezember 2018 bis Juni 2019 hatte die Klägerin nur regelmäßige Nachtarbeit im regulären Schichtdienst geleistet. Dennoch verlangte sie den höheren Zuschlag von 50 Prozent. Die unterschiedlichen Zuschläge seien gleichheitswidrig.
Bereits 2018 hatte das BAG entschieden, dass allein der Gesundheitsschutz einen Unterschied bei den Zuschlägen nicht rechtfertigen kann; nach heutigem Stand arbeitsmedizinischer Erkenntnisse seien gesundheitliche Beeinträchtigungen fast ausschließlich vom Umfang der Nachtarbeit abhängig, nicht dagegen von deren Planbarkeit (Urteil vom 21. März 2018, Az.: 10 AZR 34/17; JurAgentur-Meldung vom 2. August 2018).
Am 9. Dezember 2020 entschied das BAG dann allerdings, dass der Unterschied gerechtfertigt sein kann, wenn dieser ausdrücklich auch die Beeinträchtigung des Soziallebens der Beschäftigten abgelten soll (Az.: 10 AZR 334/20; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag).
Die Klagen gegen Coca-Cola hatte das BAG dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Der urteilte jedoch am 7. Juli 2022, dass solche Fälle allein nach nationalem Recht zu entscheiden sind (Az.: C-257/21 und C-258/21; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag).
Daraufhin wies das BAG nun fünf Klagen ab, darunter im Fall Nestlé zum Bundesmanteltarifvertrag Süßware (West). Eine Auslegung der Tarifverträge habe hier jeweils ergeben, dass mit dem höheren Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit auch „die zusätzlichen Belastungen durch die fehlende Planbarkeit solcher Arbeitseinsätze ausgeglichen werden sollen“.
Es sei zulässig, dass die Tarifvertragsparteien mit den Nachtarbeitszuschlägen „neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke verfolgen“, betonte das BAG. Ob sie die Höhe des Unterschieds für angemessen halten, entschieden die Erfurter Richter nicht. Dies liege ausschließlich „im Ermessen der Tarifvertragsparteien“.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock