Erbrecht

Immobilien-Gutachten für die Geltendmachung des Pflichtteils

10.02.2022
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Zuletzt bearbeitet am: 10.02.2022

Wer als naher Angehöriger per Testament enterbt wurde, kann im Erbfall Pflichteilsansprüche geltend machen. Dann wird regelmäßig um die Höhe des Pflichtteils gestritten. Eine besondere Rolle kommt dabei Immobilien, also Häuser, Wohnungen und anderem Grundbesitz zu. Hier fallen die Vorstellungen des Enterbten und des Erben über den tatsächlichen Wert der Immobilie regelmäßig weit auseinander.

Auskunftsansprüche und Wertermittlungsansprüche bei der Geltendmachung des Pflichtteils

Das Pflichtteilsrecht gibt dem Pflichtteilsberechtigten daher nicht nur Auskunftsansprüche, die durch ein Nachlassverzeichnis erfüllt werden, sondern auch sogenannte Wertermittlungsansprüche. Er ist in der Praxis auf ein Sachverständigengutachten gerichtet und setzt voraus, dass der Enterbte sich ohne ein solches Gutachten bei der Geltendmachung des Pflichtteils kein angemessenes Bild über den Wert des Nachlassgegenstandes machen kann. Das ist bei einer Nachlassimmobilie in aller Regel der Fall.

Naturgemäß streiten die Parteien auch gerne darüber, wer ein solches Grundstücks-Wertgutachten in erforderlicher Qualität erstellen kann. Das OLG Frankfurt am Main musste Ende 2021 einen solchen Streit entscheiden (OLG Frankfurt aM, Urteil vom 08.12.2021 - 12 U 110/21)

In dem Fall hinterließ die Erblasserin zwei Söhne, von denen sie einen als Alleinerben eingesetzt und den anderen enterbt hatte. Der enterbte Abkömmling machte dann Pflichtteilsansprüche gegen seinen Bruder geltend. Zum Nachlass gehörte ein Wohnhaus, über dessen Wert gestritten wurde. Der beklagte Erbe hatte ein ortsgerichtliches Gutachten vorgelegt, mit dem der Pflichtteilsberechtigte nicht einverstanden war. Dessen Rechtsanwalt vertrat vor Gericht die Auffassung, der Erbe müsse ein Gutachten eines unparteiischen und unabhängigen Sachverständigen vorlegen. Die Wertermittlung eines hessischen Ortsgerichts sei nicht ausreichend.

Dem folgte das OLG Frankfurt aM nicht. § 2314 BGB gewähre keinen Anspruch auf Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, denn eine Allgemeinvereidigung des Sachverständigen sei ohne Einfluss auf die Qualifikation und die Unabhängigkeit des Sachverständigen.

Wie gut die Qualifikation der Hessischen Ortsgerichte bei der Wertermittlung von Häusern, Wohnungen etc. tatsächlich ist, mag dahinstehen. Wer seinen Pflichtteil vor Gericht mit einer Pflichtteilsklage geltend macht, sollte stets auch die Einholung eines Immobiliengutachtens in einem Selbständigen Beweisverfahren in Erwägung ziehen.

Ausführliche Informationen zur Pflichtteilsgeltendmachung finden Sie auf der Website von ROSE & PARTNER: https://www.rosepartner.de/rechtsberatung/erbrecht-nachfolge/erbrecht-erbschaft-testament/pflichtteil-enterbung-beratung-und-vertretung/pflichtteil-durchsetzung-von-pflichtteilsanspruechen-bei-enterbung.html

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Kolja Schlecht
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