Luxemburg (jur). Minderjährige können auch dann in Deutschland einen Asylantrag stellen, wenn ihre Eltern bereits in einem EU-Staat Schutz gefunden haben. Im konkreten Fall darf daher Deutschland ein hier geborenes Kind nicht an Polen verweisen, wie am Montag, 1. August 2022, der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschied (Az.: C-720/20). Polen sei nur dann zuständig, wenn die Eltern dies ausdrücklich wünschen.
Damit muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag eines 2015 in Deutschland geborenen Mädchens prüfen. Ihre Eltern und Geschwister sind russische Staatsangehörige tschetschenischer Herkunft und hatten bereits in Polen Schutz gefunden. Die Familie war dann illegal über die Grenze nach Deutschland gekommen. Hier gebar die Mutter dann ein weiteres Kind. Danach beantragte die gesamte Familie auch in Deutschland Asyl.
Das Bundesamt lehnte dies ab, auch für das neugeborene Kind. Eltern und Geschwister seien ja schon in Polen als schutzberechtigt anerkannt worden.
Die Eltern klagten vor dem Verwaltungsgericht Cottbus, das den Streit dem EuGH vorlegte.
Der entschied nun, dass für das Neugeborene die deutschen Behörden zuständig sind. Anders als die restliche Familie sei das Mädchen nicht über Polen in die EU gekommen. Auch habe es noch nicht in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt. Nach der Dublin-III-Verordnung der EU sei daher der Aufenthaltsstaat zuständig, hier also Deutschland. Anderes gelte nur, wenn Flüchtlinge schriftlich einen entsprechenden Wunsch äußern.
Dass hier die Eltern bereits in Polen Schutz gefunden haben, berühre die Rechte und das Verfahren des in Deutschland geborenen Kindes nicht. Der eindeutige Wortlaut der Dublin-Verordnung lasse eine andere Auslegung nicht zu. Daher spiele es auch keine Rolle, dass hier die Eltern vor der Geburt ihres weiteren Kindes illegal von Polen nach Deutschland eingereist sind.
Inwieweit bei einem erfolgreichen Asylantrag des Mädchens ein abgeleiteter Aufenthaltsanspruch für die gesamte Familie entstehen kann, hatte der EuGH nicht zu entscheiden.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock