Am 6. Februar 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinem Beschluss eine grundlegende Weichenstellung zur internationalen Zuständigkeit für Insolvenzverfahren bei selbständig tätigen Personen vorgenommen. Der Beschluss klärt, wie der "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen" (COMI) in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren zu bestimmen ist. Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Relevanz für Unternehmer, Freiberufler und alle, die wirtschaftlich selbständig agieren.
Neue Auslegung des COMI-Begriffs durch den BGH und seine Bedeutung bei Insolvenzverfahren
Der Begriff "COMI" steht für "Centre of Main Interests" und ist ein zentrales Konzept der EU-Insolvenzverordnung (EuInsVO). Es bezeichnet den Ort, an dem eine Person oder ein Unternehmen gewöhnlich ihre wirtschaftlichen und finanziellen Tätigkeiten ausübt und somit den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hat. Die Bestimmung des COMI spielt eine entscheidende Rolle für die internationale Zuständigkeit in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren. Nach der EuInsVO wird dieser Ort als maßgeblich angesehen, um festzulegen, welches Gericht für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig ist.
Der BGH (Az. IX ZB 35/22) legt nun fest: Bei selbständigen natürlichen Personen wird der COMI grundsätzlich am Ort der Hauptniederlassung vermutet. Entscheidend ist nicht, ob für die Tätigkeit Personal oder nennenswerte Vermögenswerte erforderlich sind.
Internationale Zuständigkeit bei Insolvenzverfahren: Folgen für die Praxis
Diese Auslegung bedeutet eine deutliche Vereinfachung der Zuständigkeitsprüfung. Die Gerichte müssen nicht mehr aufwändig ermitteln, wo eine selbständige Person ihre hauptsächlichen Geschäftsinteressen verfolgt. Stattdessen gilt die Vermutung zugunsten des Niederlassungsorts. Erst wenn glaubhaft gemacht wird, dass der wahre COMI an einem anderen Ort liegt, ist eine abweichende Beurteilung möglich.
Für selbständige Unternehmer und Freiberufler ergibt sich aus dem Urteil eine erhöhte Rechtssicherheit. Bisher bestand bei fehlenden materiellen Betriebsmitteln oft Unsicherheit darüber, ob deutsche Gerichte international zuständig sind. Die neue Vermutungsregel verhindert, dass Schuldner durch geschickte Standortwahl oder geringe wirtschaftliche Präsenz den Gerichtsstand beeinflussen.
Grenzüberschreitende Verfahren im Fokus
Das Urteil betrifft vor allem Fälle, in denen Schuldner in einem anderen EU-Mitgliedstaat wohnen oder wirtschaftlich aktiv sind. Die zentrale Rolle des COMI ist hier entscheidend: Wer etwa seinen Wohnsitz in Spanien, aber seine Hauptniederlassung in Deutschland hat, fällt nach der BGH-Vorgabe grundsätzlich in die Zuständigkeit deutscher Gerichte. Dies gilt selbst dann, wenn in Deutschland kaum Vermögen vorhanden ist.
Einordnung in die europäische Rechtsentwicklung
Mit dieser Entscheidung folgt der BGH dem europäischen Bestreben, klare Kriterien für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu etablieren. Die Rechtsprechung des EuGH hat den COMI als zentrales Anknüpfungselement gestärkt, der BGH setzt diese Linie konsequent um. Zugleich stärkt das Urteil das Vertrauen in die Justizstandorte der Mitgliedstaaten, indem es Transparenz und Vorhersehbarkeit fördert.
Ausblick: Neue Anforderungen an Gläubiger und Schuldner
Gläubiger müssen sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten künftig genauer mit dem Ort der Hauptniederlassung ihrer Schuldner auseinandersetzen. Schuldner wiederum sollten sorgfältig dokumentieren, wo sie ihre Geschäftstätigkeit im Schwerpunkt ausüben, um Missverständnisse oder Anfechtungen bei der Eröffnung des Verfahrens zu vermeiden.
Tipp für Selbständige: Dokumentieren Sie Ihre Geschäftsaktivitäten transparent und nachvollziehbar. Klare Angaben zum Standort Ihrer Hauptniederlassung können im Streitfall entscheidend für die Anerkennung der internationalen Zuständigkeit sein.
Zusammenfassung
Der Beschluss des BGH vom 6. Februar 2025 bringt mehr Klarheit und Rechtssicherheit in einem bislang schwierigen Bereich des Insolvenzrechts. Unternehmer, Freiberufler und alle grenzüberschreitend tätigen Selbständigen erhalten damit eine praxistaugliche Orientierung. Die Entscheidung fügt sich stimmig in die europäische Linie zur Vereinheitlichung der Insolvenzrechtsprechung ein.
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