Karlsruhe. Deutschland hat über Jahre der Verfassung zuwider verweigert, Ausländern, die aus humanitären Gründen befristet aufgenommen wurden, Kindergeld zu zahlen. Mit einem am Mittwoch, 3. August 2022, veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe eine entsprechende gesetzliche Regelung zum Kindergeldanspruch wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz für nichtig erklärt (Az.: 2 BvL 9/14 u.a.). Nach dieser Entscheidung können jedoch nur Ausländer, deren Kindergeldbescheide noch nicht bestandskräftig geworden sind, eine rückwirkende Kindergeldzahlung beanspruchen.
Die Regelung, die hier im Streit steht, sah vor, dass Ausländer aus den meisten Nicht-EU-Staaten, die sich aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen für einen befristeten Zeitraum in Deutschland aufhalten dürfen, Kindergeld nur unter strengen Voraussetzungen beanspruchen können. Sie mussten sich danach für mindestens drei Jahre in Deutschland rechtmäßig, geduldet oder gestattet aufhalten. Außerdem mussten sie entweder erwerbstätig gewesen sein, in Bezug von Arbeitslosengeld I gestanden oder Elternzeit genommen haben.
Vom Niedersächsischen Finanzgericht wurde dies für verfassungswidrig gehalten. Das Gericht legte daher das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vor. Es gebe keinen Grund, warum der Anspruch auf Kindergeld von der Integration in den Arbeitsmarkt abhängig sei.
Die Verfassungsrichter hatten bereits am 10. Juli 2012 gleichlautende Regelungen zum Elterngeldanspruch für verfassungswidrig erklärt (Az. 1 BvL 2/10 u.a.). Das zulässige Ziel des Gesetzgebers, Elterngeld nur Ausländern zu gewähren, die sich dauerhaft in Deutschland aufhalten, könne nicht dadurch erreicht werden, dass der Anspruch auf Elterngeld von der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt abhängig gemacht werde, da dies nichts über die zu erwartende Aufenthaltsdauer aussage.
Der Gesetzgeber hatte aufgrund der Vorlage des Finanzgerichts zum Kindergeldanspruch die gerügten Bestimmungen vorauseilend mit Wirkung ab März 2020 geändert. Ausländer können jetzt Kindergeld erhalten, wenn sie einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen haben und seit mindestens 15 Monaten in Deutschland leben. Die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt spielt keine Rolle mehr.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte die bis Februar 2020 geltenden anderslautenden Regelungen zum Kindergeld ebenso wie vorher beim Elterngeld für nichtig, da diese Bestimmung gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verstoße. Es bestehe kein Grund, dass ein arbeitsmarktintegrierter Ausländer mit humanitärer Aufenthaltserlaubnis Kindergeld erhalten könne, während ein nicht arbeitsmarktintegrierter Ausländer dies nicht könne.
Grundsätzlich könne die voraussichtliche Bleibedauer in Deutschland eine Ungleichbehandlung beim Anspruch auf Kindergeld rechtfertigen. Allerdings müssten hierfür plausible Gründe vorliegen. Dies werde nach der Entscheidung der Verfassungsrichter vom 28. Juni 2022 durch das Kriterium der Arbeitsmarktintegration jedoch nicht erfüllt.
Quelle: © Fachanwalt.de
Symbolgrafik: © Marco2811 - stock.adobe.com