Strafrecht

Jedermann-Festnahmerecht: Wann darf man als Privatperson einen anderen festnehmen?

27.02.2019
 (11)
Zuletzt bearbeitet am: 16.03.2023

Auch normale Bürger dürfen zuweilen mutmaßliche Straftäter vorläufig festnehmen. Inwieweit dies erlaubt ist, erfahren Sie in diesem Ratgeber.

Die Durchführung von Festnahmen ist normalerweise Aufgabe der Polizei. Da die Polizei aber nicht immer vor Ort ist, wenn eine Straftat passiert, steht diese Befugnis unter bestimmten Umständen jeder Privatperson zu. Dies ergibt sich aus dem Jedermann-Festnahmerecht, das in § 127 Abs. 1 StPO geregelt ist.

Dies setzt vor allem voraus, dass jemand auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird. Tatfrische bedeutet: Diese Person muss sich noch in nächster Nähe des Tatortes befinden, an dem sich kürzlich eine Straftat ereignet hat. Hierbei besteht das vorläufige Festnahmerecht zunächst einmal dann, wenn die betreffende Person tatsächlich eine Straftat begangen hat.

 

Reicht dringender Tatverdacht zur Festnahme aus?

Inwieweit darüber hinaus ein dringender Tatverdacht ausreicht, ist umstritten. Innerhalb der Rechtswissenschaft sind viele Professoren der Auffassung, dass die Straftat wirklich verübt worden ist. Demgegenüber vertritt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass ein dringender Tatverdacht zum Festnahmerecht ausreicht (vgl. BGH, Urteil v. 18.11.1980, Az. VI ZR 151/78).

Ein dringender Tatverdacht liegt allerdings nur dann vor, wenn sich geradezu aufdrängt, dass eine am Tatort anwesende Person der Täter ist. Irgendwelche vagen Verdächtigungen reichen hingegen nicht aus. Von Bedeutung ist dies vor allem dann, wenn der Betroffene denjenigen der ihn festnimmt anzeigt oder sich gegen die Festnahme wehrt. In diesem Fall darf er sich nämlich auf sein Notwehrrecht berufen, wenn gar kein dringender Tatverdacht bestanden hat.

Was das in der Praxis bedeutet, wird an einer Entscheidung des Oberlandesgerichtes Celle deutlich. In diesem Fall hatte ein Unbekannter in einem Supermarkt zwei Fernseher entwendet und war mit diesen durch die Eingangstüre geflohen. Eine Kassiererin bemerkte dies und rief “Da haut gerade einer ab.“ Sie deutete dabei auf eine Person, die sich im Bereich der Türe aufgehalten hatte und rief: „Der gehört auch dazu“. Sie glaubte dabei irrtümlich einen Komplizen des Täters vor sich zu haben, weil ihr der Mann bereits während seines mehrminütigen Aufenthaltes vor der Türe aufgefallen war. Daraufhin nahm eine Kundin die Verfolgung des Manns auf, der den Supermarkt verlassen wollte. Sie hielt ihn fest. Doch der Mann wehrte sich. Ihm gelang es zunächst sich dem Griff zu entreißen. Doch nach einiger Zeit hielt sie ihn erneut am Arm fest. Der Mann schrie zunächst „Loslassen, ich habe nichts damit zu tun“ und dann „Loslassen, sonst passiert was!“. Als das nichts brachte, teilte er gegen die Kundin ein paar heftige Schläge aus.

Aus diesem Grunde wurde er vom Amtsgericht Hannover wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Doch dieses Urteil hatte nicht lange Bestand. Das Landgericht Hannover als Berufungsinstanz sprach den Mann frei. Das hiergegen im Wege der Revision angerufene Oberlandesgericht Celle bestätigte dies mit Beschluss vom 26.11.2014 - 32 Ss 176/14. Maßgeblich war dabei für die Richter, dass in Wirklichkeit kein dringender Tatverdacht bezüglich des Diebstahls vorgelegen hatte. Hierzu reichte weder der Zuruf der Kassiererin aus, noch das sich der Betreffende in der Nähe der Türe aufgehalten und zuvor auffällig verhalten hatte. Aus diesem Grunde durfte der fälschlich Festgehaltene nach Ansicht des OLG Celle von seinem Notwehrrecht gem. § 32 StGB Gebrauch machen. Diesem standen nach der Feststellung des Gerichtes keine mildernden Mittel zur Verfügung. Denn es reichte nicht, dass er die Kundin anschrie und zunächst von sich weggedrückt hatte.

Diese Entscheidung zeigt, dass die Rechtsprechung hinsichtlich der Bejahung eines dringenden Tatverdachtes vorsichtig ist. Insofern sollte man als Privatmann von einer Festnahme lieber Abstand nehmen, wenn man nicht die jeweilige Straftat genau beobachtet hat oder das aus anderen handfesten Gründen wirklich plausibel erscheint.

 

Wie darf die Festnahme durch Privatleute erfolgen?

Darüber hinaus sollte bedacht werden, dass durch das Jedermann-Festnahmerecht außer dem eigentlichen Festhalten normalerweise nicht das Anwenden von körperlicher Gewalt wie Schlagen oder Würgen erlaubt ist. Wenn der Straftäter sich wehrt und man ihn nicht festhalten kann, kommt allenfalls ein Fesseln in Betracht, um ihn so schnell wie möglich der Polizei zu übergeben. Was genau gestattet ist, richtet sich auch nach der Straftat. Wenn jemand gesehen hat, dass ein anderer etwa einen Menschen ermordet oder eine Frau vergewaltigt hat als schwere Straftaten ist eine andere Vorgangsweise angebracht als bei einem Diebstahl in einem Kaufhaus. Auch Kaufhausdetektive und Sicherheitsleute verfügen über keine weitergehenden Befugnisse. Auch sie dürfen etwa keine Durchsuchungen gegen den Willen durchführen wie Polizeibeamte.

 

Fazit:

Dies alles zeigt, dass man vor der Ausübung des Jedermann-Festnahmerechtes durch persönliche Beobachtung davon überzeugt sein sollte, dass man einen Straftäter vor sich hat. Ansonsten kann man selbst schnell angeklagt werden etwa wegen Nötigung gem. § 240 StGB bzw. Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB. Wichtig ist, dass die Festnahme nur zwecks schneller Übergabe an die Polizei erfolgen darf, die sofort gerufen werden muss. Es ist nicht erlaubt, sich als Hilfssheriff aufzuspielen. Vielmehr drohen dann ernsthafte juristische Konsequenzen.

 

Autor: Harald Büring, Ass. jur. (Fachanwalt.de-Redaktion)

Foto: © Danny Meyer - Fotolia.com

 

 

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor





Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Strafrecht Verminderte Schuldfähigkeit heißt auch fehlende Unrechtseinsicht

Karlsruhe (jur). Eine psychisch kranke Frau muss für die zwangsweise Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zum Zeitpunkt ihrer begangenen Straftat auch wirklich schuldunfähig oder vermindert schuldunfähig gewesen sein. Allein die Feststellung, dass die Einsichtsfähigkeit der Frau bei Tatbegehung erheblich gemindert gewesen sei, reiche nicht für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit aus, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am Mittwoch, 19. April 2023, veröffentlichten Beschluss (Az.: 5 StR 79/23). Für eine verminderte Schuldfähigkeit müsse auch festgestellt werden, dass die Beschuldigte bei Ausführung ihrer Tat das begangene Unrecht ... weiter lesen

Strafrecht Kein generelles Ausschöpfen der Ingewahrsamnahme bei Klimaprotesten

Hamburg (jur). Klimaschützer dürfen nach einer Fahrbahnblockade auf den Hamburger neuen Elbbrücken nicht wegen einer irgendwann drohenden Gefahr durch erneute Klimaproteste vorsorglich für zehn Tage in Gewahrsam genommen werden. Das Ausschöpfen der zehntägigen Maximaldauer der polizeilichen Ingewahrsamnahme ist nicht zulässig, wenn keine unmittelbar bevorstehende vergleichbare Tat droht, entschied das Landgericht Hamburg am Mittwoch, 29. März 2023 (Az.: 301 T 103/23 und weitere).  Hier hatten sich die zwei Beschwerdeführenden auf der Fahrbahn der neuen Elbbrücken in Hamburg festgeklebt, um so gegen die Klimapolitik zu protestieren. Die Polizei nahm diese in ... weiter lesen

Strafrecht Spektakulärer Einbruch ins Hauptzollamt Berlin: Verurteilung bestätigt!

Der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil gegen einen moldauischen Staatsangehörigen, der am Einbruch ins Hauptzollamt Berlin beteiligt war. Die mehrjährige Freiheitsstrafe bleibt damit rechtskräftig. Tatbeteiligung am Einbruch ins Hauptzollamt Berlin Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig hat die Verurteilung eines moldauischen Staatsangehörigen durch das Landgericht Berlin bestätigt. Dieser wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt aufgrund seiner Beteiligung am Einbruch in die Asservatenhalle des Hauptzollamtes Berlin. Gemäß den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Teil einer von einem ... weiter lesen

Strafrecht 9.100 Euro Geldstrafe wegen Hungertod von über 250 Schweinen

Osnabrück (jur). Auch Depressionen eines Landwirts rechtfertigen nicht das Verhungernlassen von mehr als 250 Schweinen. Wegen des erheblichen Leids der Tiere ist auch bei einer verminderten Schuldfähigkeit infolge von Depressionen eine Geldstrafe gerechtfertigt, urteilte am Freitag, 3. Februar das Landgericht Osnabrück (Az.: 5 Ns 127/22).  Geklagt hatte ein 65-jähriger Landwirt aus Bad Laer im Landkreis Osnabrück, der sich gegen eine Geldstrafe wegen Tierquälerei in Höhe von insgesamt 9.100 Euro wandte. Der Mann hatte im September 2021 ohne erkennbaren Grund die Fütterung seiner über 250 Schweine eingestellt und den Stall wochenlang nicht betreten. Nach einer ... weiter lesen

Ihre Spezialisten