Sozialrecht

Jobcenter muss Lernen im Schul-Zirkusprojekt bezahlen

Zuletzt bearbeitet am: 09.03.2023

Kassel (jur). Mittellose Schülerinnen und Schüler müssen ein einwöchiges Schul-Zirkusprojekt auf dem Schulgelände nicht aus eigener Tasche bezahlen. Sie haben Anspruch auf „gleichberechtigte Teilhabe an Bildung“, so dass das Jobcenter ähnlich wie bei Schulausflügen die anfallenden Kosten erstatten muss, urteilte am Mittwoch, 8. März 2023, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 7 AS 9/22 R). Voraussetzung hierfür sei, dass es sich um eine von der Schule organisierte Veranstaltung handelt und diese auch als Schulausflug stattfinden könnte. 

Damit bekam eine zum Streitzeitpunkt siebenjährige Grundschülerin aus dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz recht. Das Kind und ihre alleinerziehende Mutter standen im Hartz-IV-Bezug. Als die Schule 2018 ein einwöchiges Zirkusprojekt auf dem Schulgelände organisierte, wurde dort auch ein Zirkuszelt aufgebaut. Die Schüler sollten für die Teilnahme zehn Euro bezahlen. 

Das Geld wollte sich die Schülerin wieder von ihrem Jobcenter zurückholen. Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten müsse das Jobcenter im Rahmen der zu gewährenden Bildungs- und Teilhabeleistungen ja erstatten. Hier sei das Zirkusprojekt nach Sinn und Zweck des Gesetzes einem Schulausflug vergleichbar. Zwar habe das Projekt auf dem Schulgelände stattgefunden, es bleibe aber eine schulische Maßnahme außerhalb des Schulbetriebs. 

Das Jobcenter lehnte die Kostenerstattung ab. Die Behörde berief sich auf den Gesetzeswortlaut. Danach seien die Kosten nur für mehrtägige Klassenfahrten und Schulausflüge zu bezahlen. Dies verlange eine Ortsabwesenheit von der Schule. Hier habe das Zirkusprojekt jedoch auf dem Schulgelände stattgefunden. Die Schülerin könne die zehn Euro aus ihrem Regelbedarf decken. 

Dem folgte noch das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 5. April 2022 (Az.: L 3 AS 39/20; JurAgentur-Meldung vom 11. April 2022). Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten könnten zwar gesondert vom Jobcenter übernommen werden. Denn so sollen bedürftige Schüler besser in der Gemeinschaft integriert werden. Für auf dem Schulgelände selbst stattfindende Veranstaltungen wie das Zirkus-Projekt gelte jedoch anderes. Solche Eintrittsgelder und Nutzungsentgelte für den Besuch von Freizeit-, Sport- und Kulturbedarf seien bereits im hinreichendem Umfang im Regelbedarf enthalten. 

Das BSG hob diese Entscheidung jedoch auf und sprach der Klägerin die Kostenerstattung für die Teilnahme an dem einwöchigen Schulprojekt in Höhe von zehn Euro zu. Die tatsächlichen Aufwendungen für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten müssten Jobcenter nach dem Gesetz extra bezahlen. Was jedoch ein Schulausflug sei, sei vom Gesetzgeber nicht genau bestimmt worden. Letztlich sei im Wortsinne damit ein „Lernen an einem anderen Ort“ gemeint. 

Hier habe das Schul-Zirkusprojekt zwar auf dem Schulgelände stattgefunden. Dennoch sei dies mit einem „Lernen an einem anderen Ort“ vergleichbar. Die Klägerin könne eine „gleichberechtigte Teilhabe an Bildung“ beanspruchen. Jobcenter müssten damit die typischen schulischen Bedarf decken. 

Voraussetzung für eine Kostenerstattung sei, dass es sich um eine von der Schule organisierte Veranstaltung handelt, die auch als Schulausflug stattfinden könnte. Dies treffe auf das Zirkusprojekt zu. Identische Regelungen zur Kostenübernahme bei Schulausflügen gibt es auch beim Anfang 2023 eingeführten Bürgergeld. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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