Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte mit Urteil vom 27. Januar 2023 (Az. 13 Sa 1007/22) entschieden, dass eine zehnminütige Kaffeepause während der Arbeitszeit ohne vorheriges Ausstempeln als vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug gewertet werden kann – selbst dann, wenn die betroffene Arbeitnehmerin schwerbehindert ist und langjährig im Unternehmen tätig war. Das Urteil unterstreicht, wie ernst Gerichte Verstöße gegen arbeitsvertragliche Dokumentationspflichten nehmen – auch bei vermeintlich harmlosen Pausen.
Was war geschehen? Der Fall im Detail
Die Klägerin war seit 2013 bei einem Dienstleistungsunternehmen als Reinigungskraft angestellt. Sie weist einen Grad der Behinderung von 100 % auf. Am 8. Oktober 2021 verließ sie während der Arbeitszeit das Betriebsgelände, um ein nahegelegenes Café zu besuchen. Dauer des Aufenthalts: mindestens zehn Minuten. Während dieser Zeit war sie jedoch weiterhin im Zeiterfassungssystem als „anwesend“ registriert, da sie weder beim Verlassen noch bei der Rückkehr ausgestempelt hatte.
Gegenüber ihren Kolleginnen gab sie lediglich an, sie sei „kurz im Keller“. Tatsächlich wurde sie jedoch vom Geschäftsführer beobachtet, wie sie das Gebäude verließ und in das Café ging. Dieser konfrontierte sie später mit dem Vorfall. Zunächst stritt die Klägerin alles ab. Erst nachdem ihr mit der Sichtung von Beweisfotos gedroht wurde, gestand sie die Pause und räumte ein, nicht ausgestempelt zu haben.
Wie reagierte der Arbeitgeber?
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos. Zur Begründung wurde angegeben, dass ein massiver Vertrauensbruch vorliege: Die Klägerin habe vorsätzlich gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten zur Zeiterfassung verstoßen und damit Arbeitszeitbetrug begangen. Selbst der Umstand, dass es sich um einen erstmaligen Vorfall handelte, konnte nach Ansicht des Arbeitgebers das gestörte Vertrauensverhältnis nicht mehr heilen.
Gericht sieht Kaffeepause als Arbeitszeitbetrug
Das Landesarbeitsgericht Hamm folgte der Argumentation des Arbeitgebers. Bereits das Arbeitsgericht Gelsenkirchen hatte in erster Instanz die fristlose Kündigung für wirksam erklärt. Die Klägerin legte Berufung ein, blieb jedoch erfolglos.
Die Richter machten deutlich, dass es sich um einen bewussten und vorsätzlichen Verstoß gegen die Pflicht zur korrekten Arbeitszeiterfassung handelte. Es sei nicht entscheidend, ob es sich nur um „wenige Minuten“ gehandelt habe – maßgeblich sei vielmehr, dass die Klägerin aktiv versucht habe, diesen Umstand zu verschleiern, indem sie Kolleginnen eine falsche Angabe („im Keller“) gemacht habe. Dieses Verhalten habe das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber zerstört.
Wichtige Aussagen des Gerichts im Überblick:
- Arbeitszeitbetrug liegt bereits bei kurzer Pause ohne Ausstempeln vor – entscheidend ist die vorsätzliche Täuschung.
- Einmaliger Vorfall reicht aus, wenn das Vertrauen zum Arbeitgeber grundlegend erschüttert ist.
- Schwerbehinderung schützt nicht vor Kündigung, wenn das Verhalten gravierend und nicht nachvollziehbar ist.
- Vertragsverstöße müssen offen und ehrlich aufgearbeitet werden, ein nachträgliches Geständnis unter Druck kann negativ gewertet werden.
Relevanz des Urteils für alle Beschäftigten
Das Urteil hat Signalwirkung: Selbst alltägliche Verhaltensweisen wie der spontane Gang ins Café können bei fehlender Zeiterfassung erhebliche arbeitsrechtliche Folgen haben. Wer während der bezahlten Arbeitszeit private Besorgungen oder Pausen einlegt, ohne dies korrekt zu dokumentieren, setzt seinen Arbeitsplatz aufs Spiel – unabhängig von der Dauer des Verstoßes oder der bisherigen Betriebszugehörigkeit.
Gerichte zeigen sich in Fällen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrugs zunehmend konsequent. Bereits kurze Fehlzeiten ohne Zeiterfassung gelten als besonders vertrauensschädigend, da sie nicht zufällig oder versehentlich geschehen, sondern bewusst dem Arbeitgeber einen falschen Eindruck über die tatsächlich geleistete Arbeit vermitteln.
Abwägung: Kündigung trotz Schwerbehinderung und langer Betriebszugehörigkeit?
Die Klägerin verwies in ihrer Verteidigung auf ihre langjährige Tätigkeit und ihre schwere Behinderung. Diese Argumente ließ das Gericht jedoch nicht gelten. Zwar seien diese Umstände grundsätzlich bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, doch in diesem Fall wog die vorsätzliche Täuschung schwerer.
Das Gericht stellte fest: Wer in einer Umgebung mit Vertrauensarbeitszeit oder flexibler Zeiterfassung tätig ist, trägt eine besondere Verantwortung. Verstöße gegen diese Pflichten beschädigen das Fundament eines jeden Arbeitsverhältnisses – das gegenseitige Vertrauen.
Fazit
Auch kurze Pausen können arbeitsrechtlich problematisch sein, wenn sie nicht korrekt dokumentiert werden. Arbeitnehmer sollten sich mit den Regelungen zur Zeiterfassung ihres Arbeitgebers vertraut machen und im Zweifel lieber einmal zu oft als zu selten aus- und einstempeln. Besonders in sensiblen Bereichen mit Vertrauensarbeitszeit ist größte Sorgfalt geboten.
Wer unsicher ist, ob eine Tätigkeit als Pause oder Arbeitszeit zählt, sollte Rücksprache mit dem Vorgesetzten oder der Personalabteilung halten. Bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten – insbesondere bei Abmahnung oder Kündigung – empfiehlt sich die sofortige Einschaltung eines Fachanwalts für Arbeitsrecht, der die Erfolgsaussichten einer Klage oder Kündigungsschutzklage prüft.
Symbolbild von fachanwalt.de, Autor: (se)