Migrationsrecht

Kein „real risk“ in Algerien für Anklage wegen Homosexualität

Zuletzt bearbeitet am: 02.01.2024

Frankfurt/Main (jur). Homosexuelle in Algerien werden wegen ihrer sexuellen Orientierung faktisch nicht angeklagt. Auch wenn Homosexualität dort strafbar ist, gibt es kein „real risk“ für eine Anklage, entschied das Verwaltungsgericht in einem am 23. August 2022 zugestellten Urteil (Az.: 3 K 469/21.F.A.). Nur wenn zu dem homosexuellen Verhalten ein zusätzliches Merkmal hinzukomme, könne dies zu einer Strafverfolgung führen. 

Im Streitfall hatte der homosexuelle algerische Kläger bereits als Minderjähriger mehrfach erfolglos in Deutschland Asyl beantragt. 1998 wurde er nach Algerien abgeschoben. Nach seiner erneuten Einreise in das Bundesgebiet im Februar 2019 wurde sein Asylantrag wiederum abgelehnt. Im November 2020 stellte er einen Folgeantrag und verwies darauf, dass in den letzten Monaten in Algerien Massenverhaftungen und -verurteilungen von Homosexuellen stattfänden. Ihm drohe bei einer Rückkehr nach Algerien eine Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung. 

Doch in der mündlichen Verhandlung vom 16. August 2022 stellte das Verwaltungsgericht klar, dass es für Homosexuelle kein „real risk“ für eine Anklage gebe. Das Gericht verwies dabei auf ein anderes Urteil vom 5. März 2020, nach dem homosexuelle Männer in Algerien keine wirkliche staatliche Verfolgung zu befürchten hätten. An dieser Situation habe sich nichts geändert. Nur wenn neben dem homosexuellen Verhalten ein zusätzliches Merkmal hinzukomme, müsse mit einer Anklage gerechnet werden. 

Hier habe der Kläger angeführt, dass er in Algerien sich nicht in der Öffentlichkeit Umarmen, Küssen oder Händchenhalten könne. Dabei müsse aber berücksichtigt werden, dass dies in der konservativen algerischen Gesellschaft auch für heterosexuelle Menschen gelte. Die Entscheidung stehe zudem nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in Widerspruch. 

So hatte der EGMR am 17. November 2020 geurteilt, dass nach der Europäischen Menschenrechtskonvention Homosexuelle auch in Länder abgeschoben werden dürfen, in denen homosexuelle Handlungen strafbar sind (Az.: 43987/16; JurAgentur-Meldung vom Urteilstag). Allerdings müsse gewährleistet sein, dass der Staat diese Menschen vor Übergriffen auch durch Privatpersonen schützt, wenn die Homosexualität öffentlich wird. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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