Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seiner Entscheidung vom 3. Juni 2025 klargestellt: Der gesetzliche Mindesturlaub oder dessen finanzielle Abgeltung darf nicht durch gerichtliche Vergleiche ausgeschlossen werden. Auch dann nicht, wenn feststeht, dass der Urlaub krankheitsbedingt nicht mehr genommen werden kann. Das Urteil ist ein wichtiger Meilenstein für das Arbeitsrecht und unterstreicht den nicht dispositiven Charakter des gesetzlichen Erholungsurlaubs.
Grundlagen des gesetzlichen Urlaubsanspruchs
Nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) steht Arbeitnehmern bei einer Sechstagewoche ein Mindesturlaub von 24 Werktagen pro Jahr zu. Bei einer Fünftagewoche entspricht dies 20 Arbeitstagen. Der Erholungsurlaub ist Teil des Arbeitsschutzes und dient der gesundheitlichen Regeneration.
Wird das Arbeitsverhältnis beendet und konnte der Urlaub nicht mehr genommen werden – etwa wegen Krankheit –, entsteht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung. Dieser Anspruch entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und kann nicht durch Vorabvereinbarungen ausgeschlossen werden.
Der entschiedene Fall: Was war geschehen?
Ein Arbeitnehmer schloss mit seinem Arbeitgeber im Rahmen eines Gerichtsverfahrens einen Vergleich. Darin wurde die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung geregelt. Zugleich enthielt der Vergleich eine Klausel, wonach alle wechselseitigen Ansprüche abgegolten seien. Der Arbeitnehmer war jedoch in den letzten Monaten des Arbeitsverhältnisses krank und hatte seinen Urlaub nicht nehmen können. Später forderte er die Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs.
Kernaussagen des Urteils
- Der gesetzliche Mindesturlaub ist unverzichtbar.
- Auch der Anspruch auf Urlaubsabgeltung unterliegt dem Verzichtsverbot.
- Allgemeine Ausgleichsklauseln in gerichtlichen Vergleichen können diesen Anspruch nicht wirksam ausschließen.
Rechtliche Einordnung
Das BAG stützt sich auf die unionsrechtlich geprägte Auslegung des Urlaubsrechts. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub gilt als Grundrecht gemäß Artikel 31 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) betont die Nichtverfügbarkeit dieses Rechts. Daher sind nationale Regelungen, die dem entgegenstehen, unwirksam.
Auswirkungen in der Praxis
- Für Arbeitgeber
- Vergleichsklauseln prüfen: Pauschale Abgeltungsklauseln müssen differenziert formuliert werden.
- Dokumentation: Urlaubsansprüche sollten genau erfasst und dokumentiert werden.
- Rechtliche Absicherung: Vergleiche sollten mit rechtlicher Beratung gestaltet werden, um spätere Nachforderungen zu vermeiden.
- Für Arbeitnehmer
- Verzicht ist unwirksam: Auch wenn ein Vergleich geschlossen wurde, bleibt der Anspruch auf Urlaubsabgeltung bestehen.
- Krankheitszeiten zählen mit: Wer aufgrund von Krankheit keinen Urlaub nehmen konnte, verliert den Anspruch nicht.
- Fristen beachten: Trotz Schutzmechanismus sollten Abgeltungsansprüche zügig geltend gemacht werden.
Einordnung im europäischen Kontext
Das Urteil (Az. 9 AZR 104/24) folgt der Linie des EuGH, insbesondere dem Urteil in der Rechtssache "Schultz-Hoff" (C-350/06 und C-520/06). Der EuGH hatte entschieden, dass Urlaub auch bei Krankheit erhalten bleibt und bei Beendigung abzugelten ist. Diese Vorgaben prägen die deutsche Rechtsprechung maßgeblich.
Tipp: Für die Gestaltung von Vergleichsklauseln ist eine rechtssichere Formulierung entscheidend. Ein Beispiel könnte lauten: „Mit Zahlung der Abfindung sind sämtliche gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten, ausgenommen gesetzliche Ansprüche auf Urlaubsabgeltung, soweit sie nicht bereits erfüllt wurden.“ Es ist wichtig, das Bewusstsein in Personalabteilungen und Führungsebenen zu schärfen, um die Grenzen dispositiver Regelungen zu kennen und zu beachten. Klare und rechtskonforme Vereinbarungen tragen dazu bei, Streitigkeiten zu vermeiden und schaffen Verlässlichkeit für beide Seiten.
Zusammenfassung
Das Urteil des BAG vom 3. Juni 2025 stärkt den Schutz der Arbeitnehmenden in zentraler Weise. Der gesetzliche Mindesturlaub und dessen Abgeltung sind nicht disponibel – auch nicht im Rahmen eines Prozessvergleichs. Arbeitgeber müssen ihre Gestaltungsspielräume überdenken, Arbeitnehmer dürfen sich auf den Bestand ihrer Ansprüche verlassen. Für die arbeitsrechtliche Ausbildung ist die Entscheidung ein anschauliches Beispiel für das Zusammenspiel von nationalem und europäischem Recht.
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