Stuttgart. Es ist „nicht betriebsunüblich“, während der Arbeitszeit alle zwei bis drei Stunden auf die Toilette zu gehen. In einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 17. November 2022 hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) in Stuttgart entschieden, dass die berufliche Leistungsfähigkeit von einer gesetzlich Krankenversicherten dadurch genauso wenig eingeschränkt wird wie das zweimal tägliche Legen eines Blasenkatheters außerhalb der Arbeitszeiten (Az.: L10R3541/19).
Von 2009 bis zum 3. Januar 2014 war die Klägerin als Produktionshelferin tätig. Seitdem ist sie arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Seit dem Jahr 2014 klagt sie über einen Dauerschwindel sowie Attacken von Drehschwindel, zudem kamen später noch Knie- und Gelenkschmerzen sowie Migräne hinzu.
Sie leide durch die Geburt ihrer drei Kinder auch an Harninkontinenz. Daher müsse sie sich zweimal täglich katheterisieren. Wegen ihres Harndrangs müsse sie zweimal pro Stunde auf die Toilette. Das bedeute, dass sie nur unter "betriebsunüblichen Bedingungen" arbeiten könne. Letztlich sei ihr ein Arbeiten nicht möglich.
Aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung beantragte sie, ihr eine volle- oder wenigstens teilweise Erwerbsminderungsrente zu gewähren.
Dies wurde sowohl vom Rentenversicherungsträger als auch jetzt vom LSG nach Einholung von mehreren Gutachten abgelehnt. Laut Stuttgarter Richter sei die Klägerin arbeitsfähig und könne mindestens sechs Stunden am Tag leichte Arbeiten ausführen. Deshalb stehe ihr ein Anspruch auf volle oder teilweise Erwerbsminderungsrente nicht zu.
Auch nach einer vierstündigen Untersuchung habe sich der von ihr vorgebrachte Dauerschwindel nicht belegen lassen.
Dasselbe gelte für ihren vermeintlich stark ausgeprägten Harndrang. Zwar habe sie ein „Harnkatheterprotokoll“ vorgelegt, wonach sie täglich bis zu 6,6 Liter Flüssigkeit mittels Katheter und Toilettengang ausscheide. Sie müsste danach dann aber auch täglich acht Liter Flüssigkeit zu sich nehmen, was einer krankhaft hohen Trinkmenge entspreche. Hierzu habe die Klägerin jedoch nichts vorgetragen.
Sie habe während der vierstündigen Untersuchung kein einziges Mal die Toilette aufsuchen müssen. Es ist laut Gutachter davon auszugehen, dass es für die Frau möglich sei, alle zwei bis drei Stunden auf die Toilette gehen zu können. Das LSG entschied, dass Toilettengänge in derartigen Zeiträumen jedoch nicht "betriebsunüblich" seien. Die Klägerin könne daher aufgrund bestehender Arbeitsfähigkeit keine Erwerbsminderungsrente in Anspruch nehmen.
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