Kassel (jur). Transsexuelle haben künftig keinen Anspruch auf geschlechtsangleichende Operationen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung mehr. Das ist die Folge eines am Donnerstag, 19. Oktober 2023, verkündeten Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel (Az.: B 1 KR 16/22 R). Danach besteht ein solcher Anspruch für non-binäre Personen von vornherein nicht. Für Transsexuelle forderte BSG-Präsident Rainer Schlegel aber Vertrauensschutz zumindest für bereits begonnene Operationen.
Hintergrund des Urteils ist die langjährige Untätigkeit des Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) von Ärzten und Krankenkassen. Dies ist das Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, das über den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen entscheidet. Eine Richtlinie zu geschlechtsangleichenden Operationen hat der G-BA bislang nicht erlassen.
Dennoch hatte bereits vor gut elf Jahren das BSG erstmals einer Mann-zu-Frau-Transsexuellen Kostenerstattung für eine Brustvergrößerung zugesprochen (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 11. September 2012, Az: B 1 KR 3/12 R). Dies wurde zur ständigen Rechtsprechung, ohne dass der G-BA darauf reagierte.
In dem nun entschiedenen Fall klagte eine Person, die weiblich geboren wurde. Sie fühlt sich aber nicht als Frau und auch nicht als Mann. 2019 ließ sie daher ihren Vornamen ändern, als Geschlecht wurde „ohne Angabe“ eingetragen.
Im Dezember 2019 beantragte sie bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für eine operative Entfernung ihrer Brüste. Deretwegen werde sie als Frau wahrgenommen, worunter sie leide. Die Kasse lehnte dies ab. Ob eine Operation den Leidensdruck mindere, sei gar nicht klar. Daraufhin ließ sie im Alter von 22 Jahren die Operation auf eigene Kosten vornehmen und klagte auf Erstattung in Höhe von 5.305 Euro.
Wie schon das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 29. Juni 2022, Az.: L 5 KR 1811/21; JurAgentur-Meldung vom 18. Juli 2022) wies nun auch das BSG die Klage ab. Gleichzeitig gaben die obersten Sozialrichter damit auch ihre solche Eingriffe zusprechende Rechtsprechung für Transsexuelle auf. Diese habe „auf den klar abgrenzbaren Erscheinungsbildern des weiblichen und männlichen Geschlechts“ beruht. Auf non-binäre Personen sei dies aber nicht übertragbar. Denn anders als bei Transsexuellen könne hier das Behandlungsziel „nicht anhand eines objektiven Maßstabs bestimmt werden“.
Zudem bezögen neuere medizinische Leitlinien auf der Grundlage der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse „die Vielfalt aller – auch non-binärer – Geschlechtsidentitäten ein“. Dies entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten dritten Geschlecht.
Eingriffe in den gesunden Körper transsexueller oder non-binärer Personen seien vor diesem Hintergrund generell als „neue Behandlungsmethode“ anzusehen, so nun das BSG. Für solche Behandlungen bestehe eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen in der Regel aber erst, wenn der G-BA hierüber entschieden hat. Dessen Aufgabe sei es, „zum Schutz der betroffenen Personen vor irreversiblen Fehlentscheidungen die sachgerechte Anwendung der neuen Methode sowie ihre Wirksamkeit und Qualität zu beurteilen“.
„Für bereits begonnene Behandlungen von Transsexuellen erwägt der Senat Vertrauensschutz“, so das BSG abschließend. Ob sich dieser auch auf bereits bewilligte Operationen erstreckt, wird sich erst aus den schriftlichen Urteilsgründen ergeben.
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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock