Sozialrecht

Keine Opferentschädigung wegen krankheitsbedingtem Schweigen

Zuletzt bearbeitet am: 20.09.2023

Stuttgart (jur). Der Umstand, dass ein Gewaltopfer krankheitsbedingt das schädigende Ereignis nicht hinreichend konkret beschreiben kann, begründet bei einem Antrag auf Opferentschädigung weder eine Beweiserleichterung noch eine Beweislastumkehr. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am Mittwoch, 13. September 2023, veröffentlichten Urteil klargestellt (Az.: L 6 VG 1880/22). Erforderlich sind danach zumindest „glaubhafte Angaben“, mit denen das mögliche Opfer ein „hinreichend konkretes Geschehen“ beschreibt. 

Damit wies das LSG eine heute 29-jährige Frau ab, die bislang immer wieder in psychiatrischer Behandlung war. Vertreten durch ihre Mutter hatte sie 2012 eine Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz beantragt. Die Mutter behauptet, es sei zu sexuellem Missbrauch durch den Großvater väterlicherseits und durch eine Stewardess in einem Flugzeug gekommen. 

Das zuständige Landratsamt Reutlingen lehnte den Antrag ab. Wie schon das Sozialgericht Reutlingen ist dem nun auch das LSG gefolgt. 

Um eine Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz zu erhalten, müssen die Opfer einen „tätlichen Angriff“ belegen. Im Grundsatz gilt dies auch bei sexuellem Missbrauch. Wenn es keine Zeugen oder anderen Beweismöglichkeiten gibt, reichen nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel hier allerdings „glaubhafte Angaben“ des Opfers aus, wenn diese durch Gutachten bestätigt werden (Urteil und JurAgentur-Meldung vom 17. April 2013, Az.: B 9 V 1/12 R). 

Hier hätten aber weder die Klägerin noch ihre Mutter ein „nach Sachverhalt, Ort und Tatzeit hinreichend konkretes Geschehen“ beschreiben können, das einer Überprüfung zugänglich gewesen wäre, betonte das LSG. Der Hinweis der Klägerin, sie sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, klare Schilderungen abzugeben, führe aber nicht zu weiteren Erleichterungen oder gar einer Beweislastumkehr. 

Hier lägen insbesondere die vermeintlichen Übergriffe des Großvaters „nur im Bereich des Spekulativen“. 2010 habe die Klägerin vor der Polizei selbst erklärt, hierzu keine näheren Angaben machen zu wollen. Damit habe sie auch eine Vernehmung des damals noch lebenden Großvaters verhindert. 

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

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Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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