Erbrecht

Keine wahllose Erbenhaftung wegen überzahlter Rente

16.05.2022
 (1)
Zuletzt bearbeitet am: 23.02.2023

Darmstadt (jur). Hat eine mittlerweile verstorbene Rentnerin zu viel Rente erhalten, müssen die Erben regelmäßig als „Gesamtschuldner“ das Geld zurückzahlen. Bei der Frage, welcher Erbe wie viel zurückerstatten soll, muss die Rentenversicherung aber eine vom Einzelfall abhängige Ermessensentscheidung treffen, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt in einem am Donnerstag, 12. Mai 2022, veröffentlichten Urteil (Az.: L 2 R 411/18).

Dass die Rentenversicherung ohne weitere „Ermessensentscheidung“ die zu zahlende Schuld auf zwei Erbinnen pauschal je zur Hälfte aufteilt, ist danach unzulässig.

Im Streit stand die Rückforderung einer überzahlten Rente. Wegen eines zu hohen Hinzuverdienstes hatte die Stiefmutter der Klägerin 5.230 Euro zu viel an Rente erhalten. Der Rentenversicherungsträger forderte das Geld von der Rentnerin zurück. Als diese während des Klageverfahrens starb, sollte der Ehemann als Erbe die überzahlte Rente erstatten. Doch auch dieser starb vorzeitig, so dass die gemeinsame Tochter des Paares sowie die Klägerin, die Tochter des verstorbenen Vaters, dafür als Erbinnen und „Gesamtschuldner“ eintreten sollten.

Schuldrechtlich kann der Rentenversicherungsträger von jedem „Gesamtschuldner“ den ganzen oder auch nur einen Teilbetrag verlangen.

Hier hatte die gemeinsame Tochter die Hälfte der überzahlten Renten an die Rentenversicherung überwiesen. Die andere Tochter dachte aber nicht daran, für die andere Hälfte der überzahlten Rente ihrer Stiefmutter in Höhe von 2.615 Euro aufzukommen. Sie sei mit der Verstorbenen weder verwandt noch verschwägert. Sie sei allenfalls gesetzliche Erbin in Höhe von einem Viertel des Nachlasses ihres Vaters. Außerdem habe ihr verstorbener Vater ihr keinen Unterhalt gezahlt, so dass sie nicht einsehe, nun für dessen Schulden aufkommen zu müssen. Die Rentenversicherung habe daher zu Unrecht auch von ihr pauschal die Hälfte der überzahlten Rente verlangt.

Das LSG gab ihr mit Urteil vom 14. Dezember 2021 recht. Zwar hafteten Erben regelmäßig als Gesamtschuldner für gemeinschaftliche Nachlassverbindlichkeiten. Dazu gehöre auch die Erstattung einer überzahlten Rente. Die Rentenversicherung dürfe aber nicht willkürlich festlegen, dass die zwei Erbinnen einfach jeweils die Hälfte zu zahlen haben. Die Behörde müsse vielmehr eine Ermessensentscheidung treffen und begründen, warum und von wem sie wie viel verlangt.

„Im Fall der Gesamtschuldnerschaft kann der einzelne Beitragspflichtige (…) nur aufgrund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung seiner Freiheitsgrundrechte, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Willkürverbots in Anspruch genommen werden“, betonte das LSG. Erforderlich sei eine „Auswahlentscheidung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls“. Hier habe der Rentenversicherungsträger aber gar keine Ermessensentscheidung getroffen.

Die Darmstädter Richter verwiesen zudem auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. August 2013 (Az.: B 8 SO 7/12 R; JurAgentur-Meldung vom 27. August 2013). Hier hatten die obersten Sozialrichter entschieden, dass eine Behörde sich nicht beliebig und ohne Ermessensentscheidung einen Erben wegen zurückzuzahlender Sozialhilfeleistungen herauspicken kann.

Im aktuellen Fall ließ das LSG die Revision zum BSG zu, die mittlerweile auch eingelegt wurde (dort Az.: B 5 R 2/22 R)

Quelle: © www.juragentur.de - Rechtsnews für Ihre Anwaltshomepage

Symbolgrafik:© Zerbor - stock.adobe.com

Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor





Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Erbrecht Pflichtteil beantragt heißt noch nicht Pflichtteil erhalten

Frankfurt/Main (jur). Setzen sich Eltern zunächst gegenseitig als Erben ein, hängt die Wirkung einer „Pflichtteilsstrafklausel“ von ihrer konkreten Formulierung ab. Das zeigt ein am Montag, 6. März 2023, bekanntgegebener Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main (Az.: 21 W 104/22). Eine Klausel, die an den „Erhalt“ des Pflichtteils anknüpft, setzt danach „einen tatsächlichen Mittelabfluss voraus.“  Mehr als die Hälfte der Ehepaare vereinbaren inzwischen ein sogenanntes Berliner Testament, in dem sie sich zunächst gegenseitig als Erben einsetzen. Erst nach dem Tod auch des zweiten Elternteils sind dann die Kinder sogenannte ... weiter lesen

Erbrecht „Vermachen“ statt „vererben“ kann Erbschaftsteuer sparen

München (jur). Wenn Ausländer eine in Deutschland gelegene Immobilie vererben, wird darauf eigentlich Erbschaftsteuer fällig. Ist auch die Empfängerin im Ausland, können sie dies dank einer Gesetzeslücke aber umgehen, indem sie die Immobilie als „Vermächtnis“ weitergeben, wie am Dienstag, 28. Februar 2023, der Bundesfinanzhof (BFH) in München in einem bei seiner Jahrespressekonferenz bekanntgegebenen Urteil entschied (Az.: II R 37/19). Die Gesetzeslücke sei seit Jahren bekannt, sei aber nie geschlossen worden.   Die Erblasserin im Streitfall lebte in der Schweiz. Ihr gehörte eine Wohnung in München, die sie einer Nichte in den USA „vermacht“ hatte. Die ... weiter lesen

Erbrecht Kinder haften für ihre verstorbenen Eltern

Kassel (jur). Stehen nach dem Tod eines Versicherten noch Rückforderungen der Rentenversicherung aus, gehen diese mit in den Nachlass ein. Die Rentenversicherung darf das Geld daher bei den Erben eintreiben, wie am Mittwoch, 8. Februar 2023, das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschied (Az.: B 5 R 2/22 R).  Im konkreten Fall geht es um eine Rückforderung von 5.230 Euro gegen eine Frau aus Hessen. Sie hatte dies nicht akzeptiert und geklagt. Doch noch vor dem Urteil des Sozialgerichts starb die Frau. Ihr Ehemann und alleiniger Erbe setzte das Verfahren fort. Doch das Sozialgericht und auch das Landessozialgericht gaben der Rentenversicherung recht.  ... weiter lesen

Erbrecht Erbe trägt Risiko für unwirksames Testament

Celle (jur). Stellt sich ein Testament wegen einer psychischen Erkrankung der Erblasserin als unwirksam heraus, muss der zunächst bedachte Erbe auch noch nach Jahren alles wieder herausgeben. Selbst wenn der Erbe den Nachlass im guten Glauben angenommen hat, trägt er das Risiko für die Unwirksamkeit des Testaments, wie das Oberlandesgericht (OLG) Celle in seiner mündlichen Verhandlung vom 22. November 2022 deutlich machte (Az.: 6 U 2/22). Nach Rücknahme der Berufung wurde so das gleichgerichtete Urteil des Landgerichts Hannover rechtskräftig (Urteil vom 27. Dezember 2021, Az.: 12 O 189/20).  Im konkreten Fall hatte eine alleinstehende und kinderlose Frau ihr ... weiter lesen

Ihre Spezialisten