Einleitung zum Thema: Mit einem Urteil aus dem Jahr 2013 hat das BAG bei Arbeitsvertragsklauseln (sog. Stichtagsklausel), welche die Leistung einer Sonderzahlung oder Gratifikation durch den Arbeitgeber vom ungekündigten Bestand eines Arbeitsverhältnisses abhängig machen wollen, eine Änderung der Rechtsprechung eingeleitet (Urteil vom 13.11.2013, 10 AZR 848/12). Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass mit der Sonderzahlung erbrachte Arbeit vergütet werden soll, ist eine Stichtagsklausel, mit der dem Arbeitnehmer „verdiente“ Entgeltzahlungen wieder entzogen werden, unwirksam.
Ursprünglich glaubten die Arbeitsgerichte der ersten beiden Instanzen das BAG mangels vorhandener einschlägiger Rechtsprechung zu einer solchen Stichtagsklausel so verstehen zu können, dass eine Klauselkontrolle in der Weise erfolgen soll, dass vom Arbeitnehmer verdiente Sonderzahlungen nicht durch eine Rückforderungsklausel eingeschränkt werden dürfen, wenn das Arbeitsverhältnis zum 31.12. des Kalenderjahres gekündigt ist.
Trotz der grundsätzlichen und typischen Interessenlage, wonach üblicherweise mit einer Sonderzahlung ein Entgelt für geleistete Arbeit erbracht werden soll, hatte das BAG mit Urteil v. 18.01.2012 (10 AZR 667/10) ausgeführt, dass je nach dem verfolgten Zweck eine solche Klausel, die an der Frage anknüpft, ob das Arbeitsverhältnis zum Auszahlungszeitpunkt der Weihnachtsgratifikation oder zum 31.12. eines Jahres von einer der Parteien gekündigt ist, einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. I Satz 1 BGB standhält, wenn damit die Bindung an den Betrieb gefördert werden soll. Hier hatte das BAG die Betriebsbindung als sehr ernsthaftes Moment bewertet und das Prinzip der Erwirtschaftung einer solchen Sonderzahlung recht deutlich in den Hintergrund gestellt. Die Begründung ist hier weniger eine ökonomische Begründung gewesen, sondern eher eine soziale Begründung, die allerdings im Ausgangsfall zu ungunsten des Arbeitnehmers ausgefallen ist.
Diese Rechtsprechung wurde nun mit dem Urteil vom 13.11.2013, insoweit aufgeweicht oder sogar geändert:
Der Leitsatz des 10 Senats des BAG lautet nun:
„Eine Sonderzahlung, die auch Gegenleistung für im gesamten Kalenderjahr laufend erbrachte Arbeit darstellt, kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen regelmäßig nicht vom Bestand des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember des betreffenden Jahres abhängig gemacht werden.“
Der Arbeitsvertrag des Klägers wies folgende Klausel auf:
„Die Zahlung von Gratifikationen und sonstigen Leistungen liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch, auch wenn die Zahlung wiederholt ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgte. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Zahlung durch gültigen Tarifvertrag geregelt ist.“
Die Änderung der Rechtsprechung ist bedeutend, weil nunmehr auch Anhaltspunkte zur Annahme eines leistungsbezogenen Entgeltcharakters zu berücksichtigen sind, die zuvor scheinbar keine Bedeutung hatten.
Im Ausgangsfall des Urteils war dieses ein jährlicher Brief des Arbeitgebers an die Belegschaft mit dem dieser für die geleistete Arbeit dankte und die Sonderzahlung, die teilweise auch als Weihnachtsgratifikation bezeichnet worden war, als Entgelt für geleistete Arbeit erwähnte.
Wäre die Sonderzahlung im Ausgangsfall wirklich eine Weihnachtsgratifikation gewesen, läge üblicherweise kein Entgelt für geleistete Arbeit vor. Das BAG nahm aufgrund des Dankesbriefs des Arbeitgebers nun zutreffend einen Entgeltcharakter der Zahlung an, mit der eben auch geleistete Arbeit vergütet werden sollte (Mischcharakter).
Liegt ein Mischcharakter der Zahlung vor, ist die Zahlung vorrangig nach den Grundsätzen eines Entgelts für geleistete Arbeit zu bewerten. In diesem Fall stellt es eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners, wenn ein Entgelt für geleistete Arbeit des Ausgangsjahres dann wegfällt, wenn das Arbeitsverhältnis im Ausgangsjahr gekündigt und nach Ablauf der Kündigungsfrist (erst) im neuen Jahr beendet wird.
Fazit: Das Urteil stellt eine sachgerechte Änderung der Rechtsprechung des BAG zu Stichtagsklauseln dar. Allerdings sind die praktischen Voraussetzungen nicht ganz einfach aus der Sicht des Arbeitnehmers bzw. Anwalts zu ermitteln. Hier muss nun der Arbeitnehmer vom Anwalt dazu sehr sorgfältig befragt werden, ob es Erklärungen oder Briefe oder sonstige Hinweise des Arbeitgebers gibt, die einen Anhaltspunkt dafür liefern, dass mit der Sonderzahlung an den Arbeitnehmer ein Entgelt für geleistete Arbeit erbracht werden sollte. Das kann nicht unerhebliche tatsächliche Hürden beinhalten. Möglicherweise wäre es vorteilhafter, wenn man generell davon ausgehen könnte, dass ein Mischcharakter einer solchen Zahlung vorliegt.
Mitgeteilt durch: RA Dr. Ulrich Walter Stoklossa, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Versicherungsrecht, Fachanwalt für Familienrecht Aschaffenburg und Marktheidenfeld, Tel. 06021/5851270 und 09391/916670, Homepage (www.radrstoklossa.de und www.rechtsanwalt-marktheidenfeld.de).