Erfurt (jur). Übernehmen angehende Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten während ihres üblicherweise unentgeltlichen praktischen Ausbildungsjahrs regelmäßig eigenständige Aufgaben, können sie Anspruch auf eine Bezahlung haben. Ein solcher Anspruch besteht für höherwertige Arbeiten, die über die vertraglich vereinbarte Praktikums-Tätigkeit hinausgehen, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem aktuell veröffentlichten Urteil vom 10. Februar 2015 (Az.: 9 AZR 289/13).
Geklagt hatte eine ausgebildete Diplom-Pädagogin, die sich als psychologische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin weiterbilden wollte. Im Rahmen ihrer Ausbildung absolvierte sie vom 1. Februar 2009 bis zum 31. Januar 2010 ihr vorgeschriebenes praktisches Jahr in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Klinik und Klägerin vereinbarten, dass für das Praktikum keine Vergütung bezahlt wird.
Doch die Ausbildung entsprach nicht den Erwartungen der Klägerin. Ausbildungsbestandteile kamen viel zu kurz, stattdessen wurde sie als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt. Zumindest an zwei Tagen die Woche habe sie eigenständige Tätigkeiten ausgeübt, die eine Praktikantin ohne Aufsicht, Kontrolle und ohne gemeinsam nachfolgende Analyse nicht verrichten müsse. Dazu gehörten Tests zu Intelligenz, Depressionen oder Rechtschreibschwäche. Selbst Hausbesuche ohne Begleitung habe sie durchgeführt.
Ihre Leistungen seien gegenüber der Krankenkasse als „Leistungen einer Psychotherapeutin“ abgerechnet worden und nicht als die einer Praktikantin. Wegen Personalmangels habe sie dieselbe Arbeitsleistung erbringen müssen, wie fest angestellte Psychotherapeuten. Die Klinik müsse ihr daher diese Tätigkeit auch angemessen vergüten.
Das Landesarbeitsgericht Hamm sprach der Klägerin in seinem Urteil vom 29. November 2012 für die letzten acht Praktikumsmonate eine Vergütung in Höhe von 1.000 Euro monatlich zu, da sie in dieser Zeit etwa ein Viertel des Therapiepensums eines vollschichtig tätigen Therapeuten erledigt habe (Az.: 11 Sa 74/12, JurAgentur-Meldung vom 18. März 2013). Die Klägerin habe einen „beachtlichen produktiven Arbeitsbeitrag“ geleistet, für die das Klinikum ansonsten einen bezahlten Psychotherapeuten oder Psychologen hätte einsetzen müssen. Die Ausbildung habe nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
Auch das BAG urteilte, dass der Klägerin die Vergütung in Höhe von insgesamt 8.000 Euro zustehe. Im Umfang von zwei Arbeitstagen pro Woche habe sie regelmäßig Tätigkeiten ausgeführt, die eine Praktikantin nach den entsprechenden Ausbildungsvorschriften ohne Aufsicht, Kontrolle und ohne gemeinsame nachfolgende Analyse nicht verrichten musste.
Auch wenn ein unentgeltliches Praktikum vereinbart werde, könne ein Anspruch auf Vergütung bestehen, so die Erfurter Richter. Dies gelte selbst dann, wenn nach dem Psychotherapeutengesetz die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes und der darin verankerte Anspruch auf „angemessene Vergütung“ der Ausbildung ausgeschlossen ist.
Hier habe die Klägerin auf Veranlassung oder mit Billigung des Arbeitgebers über ihren Praktikums-Vertrag hinaus faktisch höherwertige Dienste geleistet, ohne dass hierfür eine Vergütung vereinbart wurde. Fehle es an einer entsprechenden Vereinbarung oder ist eine sittenwidrige niedrige Entlohnung gezahlt worden, habe der Beschäftigte Anspruch auf „angemessene Vergütung“. Diese im Bürgerlichen Gesetzbuch enthaltene Vorschrift sei Ausdruck des „althergebrachten Satzes, dass ‚jede Arbeit ihres Lohnes wert ist‘“, so die obersten Arbeitsrichter.
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