Mit Urteil vom 20. Februar 2025 hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) die Anforderungen an die Kontrollpflichten eines Rechtsanwalts bei Fristsachen neu definiert. Die Entscheidung bringt eine bedeutende Entlastung für die Anwaltschaft und schafft zugleich Rechtssicherheit durch die Angleichung an die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH).
Kontrollpflichten des Rechtsanwalts: Hintergrund und bisherige Praxis
Bislang galt bei der Bearbeitung fristgebundener Verfahrenshandlungen eine doppelte Kontrollpflicht: Rechtsanwälte mussten sowohl die Vermerke in der Handakte als auch die Eintragungen im Fristenkalender auf Richtigkeit überprüfen. Ziel war es, Fristversäumnisse zu vermeiden und den hohen Sorgfaltsanforderungen an den Anwaltsberuf gerecht zu werden. Diese Praxis war insbesondere durch Entscheidungen verschiedener BAG-Senate geprägt, die eine sehr umfassende Prüfungspflicht verlangten.
Neue Rechtsprechung des BAG zu Fristsachen: Vertrauen auf Handaktenvermerke reicht aus
Mit seiner Entscheidung vom 20. Februar 2025 stellt sich der Sechste Senat des BAG (6 AZR 155/23) nun explizit hinter die Rechtsprechung des BGH. Danach muss ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich prüfen, sobald ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Handlung vorgelegt werden. Dabei umfasst die Kontrollpflicht auch die Überprüfung aller weiteren unerledigten Fristen.
Allerdings dürfen sich Rechtsanwälte auf die in der Handakte vermerkten Fristen verlassen, solange keine konkreten Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Eine parallele Kontrolle des Fristenkalenders ist in diesen Fällen nicht mehr erforderlich. Damit verabschiedet sich das BAG von der bisherigen restriktiveren Linie und folgt der praxistauglicheren Bewertung des BGH.
Bedeutung für die Kanzleipraxis
Diese Rechtsprechungsänderung bedeutet für Anwaltskanzleien vor allem eins: Erleichterung im Arbeitsalltag. Der Verzicht auf die doppelte Kontrolle reduziert den organisatorischen Aufwand erheblich, ohne dabei die Sorgfaltspflicht zu untergraben. Denn die Pflicht zur Prüfung bleibt bestehen – allerdings auf einem realistischeren und praktikableren Niveau.
Ein weiterer Vorteil: Die Entscheidung fördert die Rechtssicherheit. Durch die Angleichung an die BGH-Rechtsprechung wird eine einheitliche Auslegung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten gefördert, was insbesondere im Haftungsfall von Bedeutung ist.
Einheitliche Linie in der Rechtsprechung schafft Klarheit
Mit der Entscheidung des BAG wird ein lang bestehender Widerspruch zwischen den Instanzen aufgelöst. Die bislang teilweise voneinander abweichende Beurteilung der Kontrollpflichten von Anwälten durch verschiedene Senate führte zu Rechtsunsicherheit und war mit erheblichem administrativem Aufwand verbunden.
Der Schulterschluss mit dem BGH bedeutet nicht nur eine Entlastung, sondern auch eine Annäherung der arbeitsgerichtlichen Praxis an die realen Arbeitsabläufe in Kanzleien. Der Fokus wird verstärkt auf eine ordnungsgemäß geführte Handakte gelegt, deren Richtigkeit – soweit kein Anlass zu Zweifeln besteht – als ausreichend angesehen wird.
Praxis-Tipp: Auch wenn die doppelte Kontrolle nicht mehr erforderlich ist, empfiehlt sich weiterhin ein internes Vier-Augen-Prinzip bei der Fristenkontrolle. Dies erhöht die Ausfallsicherheit und kann im Streitfall als Beleg für ordnungsgemäße Kanzleiorganisation dienen.
BAG ändert seine Linie: Eine Einordnung
Die neue Linie des BAG ist als praxisfreundlich und zugleich rechtssicher zu bewerten. Sie schafft einen Ausgleich zwischen den berechtigten Anforderungen an anwaltliche Sorgfalt und der Notwendigkeit praktikabler Abläufe in der Kanzleiorganisation. Damit kommt das Gericht auch dem Wandel in der Arbeitsrealität von Anwaltskanzleien entgegen, in denen zunehmend digitale Fristenkontrollsysteme genutzt werden.
Zusammenfassung
Das BAG-Urteil vom 20. Februar 2025 stellt einen Paradigmenwechsel in der Bewertung anwaltlicher Kontrollpflichten dar. Es entlastet die Anwaltschaft in ihrer administrativen Verantwortung, ohne die Sorgfaltspflichten aufzugeben. Die Entscheidung schafft Klarheit und Sicherheit und stärkt zugleich das Vertrauen in die Funktionsweise moderner Kanzleiorganisation.
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