Sozialrecht

Krebstherapie notfalls auch mit dafür nicht zugelassenem Medikament

Zuletzt bearbeitet am: 05.03.2024

München (jur). Bei einer lebensbedrohlichen Krankheit müssen die gesetzlichen Krankenkassen gegebenenfalls auch für Arzneimittel aufkommen, die für die jeweilige Behandlung nicht zugelassen sind. Im Zweifel überwiege das „Rechtsgut Leben“ gegenüber den Kosteninteressen der Krankenkasse, heißt es in einem am Dienstag, 30. April 2013, bekanntgegebenen Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) in München (Az.: L 5 KR 102/13 B ER). Es gab damit im Eilverfahren einem krebskranken Mann gegen seine Kasse recht.

Der 46-Jährige hatte einen bösartigen Hirntumor, der sich operativ nicht entfernen ließ. Auch Bestrahlung und Chemotherapie hatten den Tumor nicht stoppen können. Als letzte Chance, den tödlichen Verlauf vielleicht doch noch zu stoppen, sahen die behandelnden Ärzte einer angesehenen Universitätsklinik eine Behandlung mit dem Medikament Avastin.

Dieses Mittel ist für die Behandlung von Krebs allerdings nicht zugelassen. Für eine Behandlung abseits der Zulassungen, sogenanntes Off-Label-Use, müssen die gesetzlichen Krankenkassen normalerweise nicht aufkommen. Auch im konkreten Fall hatte die Kasse daher eine Kostenübernahme für das teure Mittel Avastin verweigert.

In seinem auch bereits schriftlich veröffentlichten Eilbeschluss vom 8. April 2013 hat das LSG München nun aber die Krankenkasse zu Kostenübernahme verpflichtet. Eine gutachterliche Klärung, ob die Behandlung helfen wird, sei angesichts der „besonderen Dringlichkeit“ nicht mehr möglich, betonte das LSG. Daher sei der im Grundgesetz verankerte Schutz von Leben und Gesundheit mit den Interessen der Krankenkasse und ihrer Beitragszahler abzuwägen, eine aussichtslose Therapie zu bezahlen.

Im Streitfall hätten die Ärzte die Behandlung mit Avastin aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit diesem Medikament als aussichtsreich eingeschätzt. Daher überwiege hier „das Rechtsgut des Patienten auf Leben“, entschied das LSG. Das „rein finanzielle Risiko einer nicht vollständig sicheren Therapie“ müsse dahinter zurückstehen.

Hintergrund ist ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 zu alternativen Heilmethoden. Danach müssen die gesetzlichen Krankenkassen bei lebensbedrohlichen Krankheiten auch nicht anerkannte Alternativmethoden bezahlen, wenn die Schulmedizin ohne Erfolg geblieben ist und wenn alternative Methoden „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf versprechen“ (Az.: 1 BvR 347/98).

Für den Off-Label-Use ließ danach das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel eine „schwerwiegende“ Erkrankung ausreichen. Danach kommt es zudem aber auch darauf an, ob ein „gewisser Zeitdruck“ besteht (Urteil vom 14. Dezember 2006, Az.: B 1 KR 12/06 R). Dies hat das LSG München in seinem Fall nun deutlich bejaht.

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