Arbeitsrecht

Kündigung einer Polizeiärztin wegen Kritik an Corona-Politik

Zuletzt bearbeitet am: 03.04.2022

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, hat mit Urteil vom 02.02.2022 zum Aktenzeichen 10 Sa 66/21 entschieden, dass auch Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die nur eine „einfache“ politische Treuepflicht trifft, ein Mindestmaß an Verfassungstreue insoweit aufbringen müssen, als sie nicht darauf ausgehen dürfen, den Staat, die Verfassung oder deren Organe zu beseitigen, zu beschimpfen oder verächtlich zu machen.

Das gilt gleichermaßen für den dienstlichen wie den außerdienstlichen Bereich. Handelt ein Arbeitnehmer diesen Anforderungen zuwider, kann dies ein Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung sein, wenn durch den Loyalitätsverstoß eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist.

Die Parteien streiten um die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin war seit dem 01.11.2019 beim beklagten Land als Polizeiärztin im polizeiärztlichen Dienst (PÄD) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TV-L Anwendung. Die Klägerin rief im Frühjahr 2020 zu insgesamt drei öffentlichen Kundgebungen gegen die Corona-Politik auf. Am 15.11.2020 veröffentlichte die Klägerin in einer Sonntagszeitung im „Sonntagsmarkt“ unter „Verschiedenes“ eine Kleinanzeige, in der sie u.a. das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gleichgesetzt. In der Anzeige sprach sie außerdem von „Zwangsimpfungen“ und verwies im gleichen Atemzug auf eine Demonstration vor dem Bundestag gegen das Infektionsschutzgesetz. Mit Schreiben vom 10.02.2021 kündigte das beklagte Land die Klägerin zum 31.03.2021. Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin mit der streitgegenständlichen Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg.

Nach der hier einschlägigen Tarifregelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L sind die Beschäftigten des beklagten Landes verpflichtet, sich durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu bekennen. Die Regelung normiert für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des öffentlichen Dienstes eine besondere politische Loyalitätspflicht. Sie konkretisiert insoweit die ihnen allen obliegende Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, auf die berechtigten betrieblichen Interessen des Arbeitgebers in zumutbarer Weise Rücksicht zu nehmen. Das gilt gleichermaßen für den dienstlichen wie den außerdienstlichen Bereich. Auch außerhalb ihrer Arbeitszeit sind Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des öffentlichen Dienstes verpflichtet, sich ihrem Arbeitgeber gegenüber loyal zu verhalten und auf dessen berechtigte Integritätsinteressen in zumutbarer Weise Rücksicht zu nehmen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen kann ein Grund für eine verhaltensbedingte – außerordentliche oder ordentliche – Kündigung sein, wenn durch den Loyalitätsverstoß eine konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, sei es im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im personalen Vertrauensbereich oder im behördlichen Aufgabenbereich (BAG, Urteil vom 06.09.2012 – 2 AZR 372/11). Hier hat die Klägerin insbesondere mit der Anzeige vom 15. November 2021 die einfache Treuepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB, § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L verletzt, weil sie damit die gesetzgebenden Organe verächtlich gemacht hat. Die Klägerin hat das 3. Bevölkerungsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 gleichgesetzt und den Verlust wichtiger, wenn nicht gar „aller Rechte“ der Bürger als bevorstehend behauptet. Sie hat zwar nicht – klarstellend – das Jahr 1933 hinzugefügt. Jedoch verbindet sich der Gesamtzusammenhang der einzelnen Aussagen zu einem Bild, das allein diese Deutung zulässt. Die Gleichsetzung von „Infektionsschutzgesetz“ und „Ermächtigungsgesetz“ ist durch ein Gleichheitszeichen (=) erfolgt. Insofern lässt die Anzeige keine andere Deutung zu als dass der eine Begriff mit dem anderen inhaltsgleich ist. Mit diesem Sinngehalt hat die Klägerin die gesetzgebenden Organe und damit einen Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in einer Weise verächtlich gemacht, die mit der einfachen Treuepflicht des § 241 Abs. 2 BGB, § 3 Abs. 1 Satz 2 TV-L nicht in Einklang zu bringen ist. Das Arbeitsverhältnis ist durch das Verhalten der Klägerin konkret gestört worden. Der personale Vertrauensbereich ist gestört.

Das Verächtlichmachen der gesetzgebenden Organe in der Anzeige vom 15.11.2020 wiegt auch derart schwer, dass eine vorangegangene Abmahnung entbehrlich gewesen ist. Eine Ärztin, die bei der Polizei beschäftigt ist, und die sich mit der Gewaltenteilung und den Grundrechten auskennt, kann nicht davon ausgehen, dass das Land Baden-Württemberg die Gleichsetzung der gesetzgebenden Organe mit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auch nur einmal hinnimmt.

Diesen Artikel bewerten
Über den Autor

Gesamt:

Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M.
Rechtsanwalt • Fachanwalt für Sozialrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Heumarkt 50
50667 Köln

Telefon: 022195814321


Honorar/Leistung: (5)
Erreichbarkeit: (5)
Verständlichkeit: (5)
Freundlichkeit: (5)
Diesen Rechtsanwalt bewerten
Vereinbaren Sie hier eine Rechtsberatung zum Artikel-Thema:
Kontaktieren Sie hier Fachanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M.:
* Pflichtfeld
Ja, ich willige ein, dass meine im „Kontaktformular“ eingetragenen personenbezogenen Daten zum Zwecke der Angebotsvermittlung per Fax und E-Mail an den zu kontaktierenden Anwalt übermittelt und gespeichert werden. Diese jederzeit widerrufliche Einwilligung sowie die Verarbeitung und Datenübermittlung durch Dritte erfolgen gem. unserer Datenschutzerklärung.
Kontaktieren
Weitere Artikel des Autors
Arbeitsrecht Abmahnung ist rechtswidrig

Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 07.03.2024 zum Aktenzeichen 12 Ca 2743/23 in einem von Rechtsanwalt Dipl.-Jur. Jens Usebach LL.M. der Kölner Kanzlei JURA.CC vertretenen Fall entschieden, dass eine Abmahnung rechtswidrig ist und deshalb aus der Personalakte entfernt werden muss. Die Parteien streiten über die Entfernung einer Abmahnung . Die Klägerin ist seit dem 01.06.2004 als Angestellte bei dem beklagten Land beschäftigt. Sie arbeitet in einem flexiblen individuellen Arbeitszeitmodell nach der Dienstanweisung über flexible Arbeitszeit vom 01.04.2014. Der damalige Personalreferent lud die Kläger am ... weiter lesen

Arbeitsrecht Darf der Betriebsrat eine Mail mit einer Umfrage an die ganze Belegschaft senden?

Um die Antwort vorwegzunehmen, der Betriebsrat ist berechtigt, eine Befragung der Mitarbeiter des Betriebes durch Fragebögen durchzuführen. Dem Arbeitgeber steht in einem solchen Fall kein Verfügungsanspruch im Sinne von § 940 ZPO auf Unterlassung der Fragebogenaktion zu. Für die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat geht § 2 Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 74 Abs. 1 S. 2 BetrVG vom Partnerschaftsgedanken als einem grundlegenden Prinzip des Betriebsverfassungsrechts aus; dem Betriebsrat wird eine Mitverantwortung für den Betrieb und eine Selbstverantwortung für die Arbeitnehmerbelange auferlegt. Das ... weiter lesen

Weitere Artikel der Redaktion zum Thema
Arbeitsrecht Arbeitsgericht Siegburg urteilt: Keine Diskriminierung bei Nichteinstellung aus gesundheitlichen Gründen

Das Arbeitsgericht Siegburg hat in einem Fall, in dem es um die Rücknahme einer Einstellungszusage für einen schwerbehinderten Bewerber ging, entschieden. Im Mittelpunkt der Verhandlung stand die Frage, ob die Nichteinstellung aufgrund eines ärztlichen Gutachtens eine Diskriminierung darstellt (Az.: 3 Ca 1654/23 ). Stadt zieht Jobzusage an diabetischen Bewerber zurück – Klage wegen Diskriminierung Ein schwerbehinderter Bewerber, der an Diabetes leidet, bewarb sich Anfang 2023 bei einer Stadtverwaltung für eine Ausbildung zum Straßenwärter. Seine Schwerbehinderung gab er dabei offen an. Er erhielt eine vorläufige Zusage, die jedoch von den Ergebnissen einer ... weiter lesen

Arbeitsrecht Nebenbeschäftigung durch Detektei aufgedeckt – was Arbeitgeber jetzt beachten müssen

Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und -geber ist wichtig, Vertrauen allein reicht aber oft nicht aus. Zu den häufigsten Zwischenfällen gehört die Ausübung einer nicht genehmigten Nebentätigkeit durch den Arbeitnehmer. Grundsätzlich ist der Hauptarbeitgeber verpflichtet, einen Nebenjob zu gewähren, sofern die eigenen Interessen davon nicht betroffen sind. So muss der Arbeitnehmer weiterhin mit seiner vollen Arbeitskraft verfügbar sein und darf nicht in konkurrierenden Betrieben arbeiten. Heimlich ausgeführt ist eine Nebentätigkeit nicht erlaubt. Die Aufdeckung erfolgt regelmäßig durch erfahrene Wirtschaftsdetektive, aber was passiert dann?  ... weiter lesen

Arbeitsrecht Verwaltungsgericht Hannover bestätigt Entlassung von Polizeikommissar-Anwärterin

Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover (Az. 2 B 512/24; 2 A 5953/23 ) bekräftigt die Entlassung einer Polizeikommissar-Anwärterin aufgrund ihrer polizeikritischen Äußerungen in sozialen Netzwerken. Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Neutralität und des Mäßigungsgebots im Beamtenverhältnis. Polizeianwärterin wegen kritischer Äußerungen in sozialen Medien entlassen Im Zentrum des Rechtsstreits stand eine angehende Polizeikommissarin, gegen die die Niedersächsische Polizeiakademie eine Entlassungsverfügung erließ. Ausschlaggebend waren diverse Äußerungen in sozialen Medien, die als kritisch gegenüber der Polizei ... weiter lesen

Arbeitsrecht Verwaltungsgericht bestätigt Entlassung von Polizeikommissar auf Probe

Die Entlassung eines Polizeikommissars aus dem Probebeamtenverhältnis durch das Land Rheinland-Pfalz wurde vom Verwaltungsgericht Koblenz als gesetzeskonform bestätigt (Az. 5 K 733/23.KO ). Der Fall betraf einen Beamten auf Probe, der aufgrund von diskriminierenden und gewaltverherrlichenden Inhalten, die er in WhatsApp-Chatgruppen geteilt hatte, entlassen wurde. Polizeikommissar nach WhatsApp-Skandal entlassen: Charakter fraglich Nach seiner Laufbahnprüfung im Jahr 2021 wurde der Betroffene als Einsatzsachbearbeiter in der Bereitschaftspolizei eingestellt. Während seines Vorbereitungsdienstes teilte er in verschiedenen WhatsApp-Gruppen Bilddateien mit ... weiter lesen

Ihre Spezialisten